Heute beginnt das Harbour-Front-Festival. Ein Besuch bei Buchhändler Jörg Bauer, seit 30 Jahren Buchhändler am Mühlenkamp in Winterhude.

Hamburg. Frau Hinsch schaut erwartungsvoll, und in ihren Augen blitzt so etwas wie Vorfreude. Herr Bauer sagt: "Frau Hinsch, ich komm gleich!"

Frau Hinsch sagt: "Ach, Herr Bauer, Sie gibt's ja auch noch."

Ja, es gibt ihn noch, den Herrn Bauer. Seit mehr als 30 Jahren als Buchhändler am Mühlenkamp. Er ist ein Mann der Literatur, ein Kenner und beharrlicher Arbeiter im Steinbruch der Bücher, der die schlechten von den guten scheidet und allen, die nach Lektüre und Erbauung dürsten, ein verlässlicher Ratgeber ist. Würde er das selbst so sagen? Wohl kaum. Zu hochgestochen, zu beflissen. Wenn Jörg Bauer, 58, gleich seiner Stammkundin Frau Hinsch ein Buch empfiehlt, oder wenn er genau das Buch für sie findet, was sie sucht, wird er das ganz pragmatisch tun: Er kennt jeden Winkel seines Ladens. Er weiß, wo die Amerikaner stehen, die er so liebt, die Krimis, die Kochbücher. Und wenn er sich mal selbst orientieren muss, dann helfen ihm die Wegweiser in seinem Buchstaben-Universum am Mühlenkamp, das er geschäftstüchtig mit allen bibliophilen Besuchern teilt: "Frisch eingetroffen" steht auf denen oder "Besondere Empfehlung". "Sie sind hier", sagt Bauer, "ein großes Team, meine Geschäftspartnerin, die Buchhändlerinnen, ich. Wir treffen die Auswahl gemeinsam, sie ist handverlesen."

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Ab heute ist Hamburg fest in literarischer Hand, wenn beim Harbour-Front-Festival Autoren mit Rang und Namen lesen: Jussi Adler-Olsen und Henning Mankell etwa. Frau Hinsch wird da vielleicht hingehen, Herr Bauer eher nicht: Er hält sich lieber fern vom Kulturleben der Stadt, Lesungen finden höchstens auf seiner Veranda statt: Wenn er alleine ist mit einem Buch.

Das klingt romantisch, und man ist geneigt zu sagen, dass die ganz und gar private Beschäftigung mit Literatur sich so für einen Buchhändler ziemt. Er prüft Bücher, er testet sie auf ihre Qualität, ehe er sie empfiehlt; die Buchhandlung ist ein wichtiger Umschlagplatz im Kraftfeld von Kultur und Künsten. Und der Buchhändler Zapfsäule für all die Lesehungrigen und Sinnsucher, sie bekommen bei ihm verlässlich geistigen Treibstoff zwischen Buchdeckeln.

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Manchmal kann der Buchhändler einen Leser glücklich machen. Vielleicht weil er ihm mit einem Buchtipp über langweilige Stunden hinweghilft. Oder weil er ihn zu einer Lektüre überredet, die sein Leben verändert. Jörg Bauer glaubt an die Kraft des Buches, was bei einem Buchhändler natürlich nicht anders zu erwarten, was dennoch eine herrlich altmodische Sache ist. "Ich habe angefangen zu lesen wie verrückt, als ich 14 war." Er sitzt jetzt im Hinterstübchen. Eng ist es, hier die Kaffeemaschine, dort ein Bücherregal. Vom Poster blickt Isabel Allende, und Bauer hebt an zu erzählen. Von sich selbst, es ist die Geschichte eines Mannes, den die Bücher einst gerettet haben.

Damals, kurz vor Buxtehude, wo Bauer als eines von fünf Kindern ziemlich strenger Eltern aufwuchs. Was heißt streng: Sie waren geradezu autoritär, und das zu einer Zeit, in der junge Leute anfingen, lange Haare zu tragen und Freiheiten zu erkämpfen. "Ich hatte keine schöne Jugend", erzählt Bauer beim Gedanken an den jungen Mann, der er war: langhaarig und völlig verrückt nach Beatmusik. Er sitzt da vor einem mit hellem Sakko und Einstecktuch, das dünn gewordene weiße Haar akkurat zurückgekämmt. Ein soignierter Herr, der sich selbst einen Ästheten nennt und der, wenn er über seine Herkunft spricht, sehr kontrolliert ist, der Formulierungen abwägt.

Die Eltern lebten in den Kolonien, in Afrika und in der Südsee. Vielleicht prägten sich fernab der Heimat die Auswüchse eines nationalistischen Zeitalters umso heftiger aus. Die Mutter redete noch lange nach dem Krieg den Nazis das Wort, der Vater führte ein Unternehmen für Dachdeckerbedarf am Pferdemarkt. In der Kindheit, sagt Bauer, sei er verhätschelt worden, das Lieblingskind der Mutter gewesen.

In der Pubertät dann der Bruch. Der junge Jörg verkaufte die Nazi-Memorabilia vom Dachboden auf dem Schulhof, wechselte kein Wort mehr mit den Eltern und fand Halt in den Büchern Hesses. Später brach er die Höhere Handelsschule ab und begann eine Lehre im Buchhandel: beim legendären Felix Jud. Dort sagten sie nichts, als er mit Haaren bis zum Gesäß ankam.

Ob die Leute seine Geschichte kennen, die täglich in die Buchhandlung am Mühlenkamp 39 kommen? Wahrscheinlich nicht, denn Bauer ist ein unaufdringlicher Verkäufer und doch genau das: einer, der mit einer Ware handelt. "Es geht ums Verkaufen, ich spreche die Leute an - wie der alte Herr Jud sagte: Der Verkauf fängt an, wenn der Kunde Nein sagt."

Vor einigen Jahren noch mussten Buchhandlungen reihenweise schließen, weil Großunternehmen wie Thalia eine zu starke Konkurrenz waren. Jetzt macht Thalia bundesweit Filialen dicht, während die unabhängigen Buchläden der Konkurrenz im Internet trotzen. Trotzdem werden 70 Prozent des Umsatzes in Hamburg von Filialisten gemacht, inhabergeführte Buchhandlungen gibt es derzeit 77.

Anfang der 70er, als Bauer in die Lehre ging, waren es noch 172. Auch am Mühlenkamp haben sie Krisen erlebt. Einmal wurde die Miete verdoppelt. Das sei schon hart gewesen, erinnert sich Bauer, der seit 1980 in der traditionsreichen Buchhandlung arbeitet und sie mit seiner Partnerin 1993 kaufte. Er hat die alten Besitzer geschockt, denn sein Geschmack war antibürgerlich: bloß kein Walser, kein Grass. Bukowski sollte es sein, der unflätige Dichter des Suffs und des Machismo.

Bauer steckt sich ein weiteres Fisherman's Friend in den Mund und lächelt jeden Zweifel weg: Das Bücherverkaufen ist immer noch ein paradiesisches Unternehmen für ihn.

Für einen wie Bauer, der wie aus der Zeit gefallen scheint, weil er keinen PC hat und nie im Internet ist, muss die unglaubliche Erfindung Facebook seltsam anmuten: Wo früher gelesen wurde, um eine eigene Identität zu finden, wird heute ein Wunsch-Ich als Facebook-Profil angelegt. "Ich finde es sagenhaft unhöflich von meinem Sohn, wenn er beim gemeinsamen Essen ständig auf seinem iPhone herumtippt", sagt Bauer. Zeiten ändern sich eben, und der Buchhändler aus Winterhude, dessen Geschäft zum Mühlenkamp gehört wie der Optiker Vocke, Fisch-Böttcher und der Juwelier Köster mit seinen Hamburg-Flaggen über dem Eingang, dieser Buchhändler macht trotzdem nicht den Eindruck, als hänge er irgendeiner Vergangenheit hinterher. Obwohl er manchmal die Leute, die zu laut telefonieren, aus dem Laden schickt, "das ist schließlich keine Telefonzelle". Sondern ein kultivierter Ort, nicht elitär, aber sich seiner bewusst: Nicht nur beim Lesen, auch beim Streifen durch den Bücherwald geht es um Sammlung, Einkehr und Konzentration.

Er hat noch ein paar Berufsjahre vor sich, und er ist natürlich längst drüber weg, dass der Sohn nicht in seine Fußstapfen tritt. "Er ist 25 und macht Karriere in der Modebranche", erzählt Bauer und zuckt mit den Schultern. Viele sehen ja nun schwere Zeiten auf die Buchbranche zukommen: Das E-Book ist gewaltig im Anmarsch. Amazon verlegt inzwischen selbst Bücher und macht das Verlagswesen, wie wir es seit Jahrhunderten kennen, vielleicht bald verzichtbar. Die notorischen Bescheidwisser, die das Gras wachsen hören und vom Ende der Gutenberg-Galaxie sprechen, obwohl doch Bücher noch praktisch überall sind - haben die recht? "Wir können uns nicht beklagen, wir glauben nicht an den Tod des Buches, wohl aber an seinen sinnlichen Erlebniswert", sagt Bauer. Dann erzählt er vom Anruf eines Verlages, der sehr überraschend kam. Nirgendwo sonst war der Krimi "Der Trümmermörder" so gut verkauft worden wie am Mühlenkamp - über 1000-mal! Apropos: Der derzeitige Superbestseller, die Erotik-Trilogie "Shades of Grey", gibt es hier auch. Vor 30 Jahren "hätten wir so etwas niemals anbieten können, die Frauen von der Emanzipationsbewegung hätten uns die Scheiben eingeworfen".

Heute lebt Bauer wieder in seinem Elternhaus. Die Eltern sind lange tot. Die Musik, die sie damals nicht verstanden haben, all das amerikanische Zeug, Country, Blues und Folk, steht regalweise an der Wand. Bücher hat er nur wenige hier, nur die ihm wichtigsten. Nach seiner Scheidung ("Ich habe die Familie aufgegeben, das war nichts für mich. Ich bin Einzelgänger") hat er viel verkauft, da musste er Ballast loswerden. Doch sind sie immer bei ihm, die Bücher, sie gehören zum Roman seines Lebens, der jetzt, im letzten Drittel, eine glückliche Hauptfigur hat: Sie hat ihre Niederlagen bewältigt und etwas gefunden, das ihr Spaß macht, den Job, die Bücher, die Musik, und daraus ein Leben gebaut.

"Es gibt keinen schöneren Beruf als Buchhändler", sagt Bauer, und dann muss er wieder nach vorne ins Geschäft, es ist gerade viel los.