Der Hamburger Jonathan Schnitt begleitete Soldaten ein halbes Jahr. NDR zeigt heute den Film, der von den Eindrücken der Soldaten lebt.

Hamburg. Sechs Monate Afghanistan: Marschieren bei 45 Grad Hitze mit einer 18 Kilo schweren Schutzweste, schlafen in einem Wagenlager bei Minustemperaturen mitten auf dem Feld und die immer wiederkehrende Angst und Frage nach dem Sinn des Einsatzes. Alltag für deutsche Soldaten in Afghanistan - und im vergangenen Jahr auch sechs Monate lang für den Journalisten Jonathan Schnitt.

Der Hamburger begleitete eine Einheit der Panzergrenadiere aus dem niedersächsischen Munster bei ihrem Einsatz in Afghanistan - war "tief integriert", wie es bei der Bundeswehr offiziell heißt, wenn Journalisten Soldaten bei ihrem Einsatz begleiten. Eine Formulierung, die vor allem als Abgrenzung zu "embedded journalists", wie es bei den US-Truppen heißt, dient. Wer "embedded" ist, muss meist vertraglich zusichern, worüber berichtet wird. Kritische Fragen nach der Neutralität bleiben nicht aus. "Ich konnte alles aufschreiben und zeigen, es gab keine Art der Zensur seitens der Bundeswehr", sagt Schnitt, der selbst einst Zivi war, 2009 sein Studium an der Hamburg Media School abschloss und heute als Redakteur für Die Fernsehmacher (u. a. "Markus Lanz") arbeitet. Im selben Gebäude sitzt die Doku-Produktionsfirma 5|14 FILM. Für sie ging Schnitt mit den Soldaten nach Afghanistan.

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Es ist ein bisher einmaliges Projekt, kein Journalist hat die Soldaten über einen so langen Zeitraum vom Abschied in der Heimat bis zur Rückkehr begleitet. "Es ist üblich, dass Journalisten für ein bis zwei Wochen kommen ", sagt Oberstleutnant Jörg Langer, Sprecher für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Insgesamt 123 Einzelreisen von Journalisten zu den deutschen Truppen habe es 2011 gegeben, das Projekt von Jonathan Schnitt sei aber außergewöhnlich gewesen. Dabei hatte der Hamburger nicht nur einen festen Platz auf dem Dingo-Radpanzer "Foxtrott 4", sondern verbrachte auch Tage mit den Panzergrenadieren Schröder, Körner, Chill und Wild auf der "Höhe 432", einem Außenposten der Bundeswehr nahe Kundus.

Hitze, stundenlanges Ausharren mit den Wachposten, schlafen unter freiem Himmel. Mit dabei immer die Angst vor dem Feind. Ist einer der Bauern auf dem Feld möglicherweise ein Verbündeter der Taliban? Auch bei den Fahrten im Dingo spürte Jonathan Schnitt die Anspannung der Soldaten. Jedes ungewöhnliche Objekt am Straßenrand könnte "IED" sein, "Improvised Explosive Devices", selbst gebaute Sprengfallen. Der Journalist habe von den Soldaten aber gelernt, wie man mit diesen Situationen umgeht. "Die Jungs haben mir auf ihre Art gezeigt, dass man die ständige Angst auch ausblenden muss. Sozusagen auf 'stumpf' schalten", erzählt er. Warum er sich für dieses Projekt entschieden hat? "In Afghanistan sind Frauen und Männer meiner Generation im Kriegseinsatz, ich wollte wissen, was es wirklich bedeutet, Teil so einer Mission zu sein." Natürlich sei Afghanistan immer wieder Thema in den Medien, doch was ein sechsmonatiger Einsatz für den einzelnen Soldaten bedeutet, erfahren nur die wenigsten.

Festgehalten hat Schnitt seine Eindrücke in dem jetzt erschienenen Buch "Foxtrott 4" (C. Bertelsmann Verlag, 14,99 Euro). Dem Journalisten gelingt es, den Leser mit auf die Reise zu nehmen und zu erleben, was der Einsatz aus den Männern aus Munster macht, mit welchen Widrigkeiten sie zu kämpfen haben. Abgesehen von Hitze, Staub und klirrender Kälte in den Wintermonaten beschreiben sie ihre Ängste und gewähren Einblicke in ihre Rolle als Vater, Sohn oder Bruder. Das Heimweh wird größer, je länger sie von ihren Familien getrennt sind. "Meine Kleine vermisse ich. Das Auto, solche Sachen. Einfach mal wieder früh zum Bäcker fahren. Mit der Familie zusammensitzen - grillen. Halt was anderes machen als das hier", sagt Stabsgefreiter Matthias Chill nach einigen Monaten in Afghanistan.

Die Aufzeichnungen von Schnitt brauchen keine blutigen Gefechte, um die Frage nach dem Sinn des Einsatzes der Bundeswehr immer wieder aufkommen zu lassen. Schnitt schreibt über die Zeit im Polizeihauptquartier in Chahar Darreh: "Ein Bauer treibt seine Ziegenherde durch die Landschaft. Das G82-Scharfschützengewehr ist in Richtung Norden gerichtet. In diese Richtung können die Bundeswehrsoldaten sich noch etwa 500 Meter gefahrlos bewegen. Dann müssen sie mit Sprengsätzen rechnen. (...) Zirka 700 Meter entfernt vom Außenposten beginnt das 'Indianerland'." Nach so vielen Jahren sind noch immer viele Teile des Landes nicht "sicher". "Ob dieser Krieg verloren ist oder nicht, werden wir erst wissen, wenn wir aus diesem Land wieder raus sind", sagt Jan Uwe Schröder, Oberfeldwebel und Teil von "Foxtrott 4", im Interview mit Jonathan Schnitt.

Schnitt wurde in den sechs Monaten Teil der Truppe, verbrachte auch Weihnachten und Silvester bei den Soldaten, feierte seinen 31. Geburtstag dort. Dabei verlor er nicht den Blick auf sich selbst und die Frage nach der Neutralität seiner Berichterstattung. Wie neutral kann man berichten, wenn man Tag und Nacht mit denselben Männern Essen, Schlafplatz und ihre Perspektive teilt? Diese Frage stellt Schnitt sich auch in seinem Buch "Foxtrott 4". "Ein einschneidendes Erlebnis war eine Nacht auf der 'Höhe 432' als ich Genugtuung empfand, als amerikanische Hubschrauber Raketen auf Männer abfeuerten, die zuvor verbündete Afghanen angegriffen hatten", erzählt der Journalist. Einen Mittelweg gebe es bei so einem Projekt nicht, Gefühle und Empathie mit den Soldaten entstünden automatisch. Es sei nicht Anspruch gewesen, diese Gefühle außer Acht zu lassen, unbefangen konnte Schnitt nicht sein. Er fühle sich aber trotz dieser Erkenntnis weiter unabhängig, weil er sich daran halte, alle Erlebnisse in Afghanistan aufzuschreiben, die ihm interessant, erkenntnisreich oder unterhaltsam genug erscheinen.

Davon lebt auch die Fernsehdokumentation, die heute im NDR zu sehen sein wird. Schnitt hatte für einige Wochen einen Kameramann an seiner Seite, filmte aber auch viele Szenen selbst. Der Film lebt allein von den Eindrücken und Aussagen der Soldaten. Schnitt lässt den Zuschauer in seine eigene Rolle schlüpfen - die des Beobachters.

"Foxtrott 4: Sechs Monate Afghanistan" heute Nacht, 0.00 bis 1.30 Uhr, N3