Der “Tonali“-Preisträger und Cellist Alexey Stadler gab unter Antony Gormleys “Horizon Field“ ein ungewöhnliches Konzert in der Deichtorhalle

Hamburg. Leise Skepsis begleitet den Besucher auf dem Weg in die backofenwarme Deichtorhalle Nord. Ein junger Künstler, kürzlich zu höchsten Ehren gekommen, gibt ein Konzert in dem Saal, der von einem spektakulären Kunstwerk beherrscht wird. Musik gegen bildende Kunst, Klang gegen Anblick, kann das gut gehen? Oder wird das eine um des anderen willen vereinnahmt? Und wer behält die Oberhand?

"Held op Sokken" haben Amadeus Templeton und Boris Matchin, die findigen Initiatoren des "Tonali"-Wettbewerbs, das Konzert überschrieben. Ursprünglich sollte es die Finissage für Antony Gormleys Installation "Horizon Field" werden, nun ist die Ausstellung um eine Woche verlängert worden.

+++ Horizon Field: Besucherrekord in den Deichtorhallen +++

Das Motto, niederländisch für "Held auf Socken", spielt darauf an, dass Besucher nur ohne Schuhe die riesige schwarz spiegelnde Fläche betreten dürfen, die seit Ende April die Halle in ein Oben und ein Unten teilt: ein betörendes Spiel mit Sichtachsen, Winkeln und dem eigenen Gleichgewicht oben und einer großen Leere unten, die die Erwartungen und Fantasien nur so befeuert. Doch Templeton stellt einen weiteren Bezug her: Im Niederländischen sei ein "Held auf Socken" ein liebevoller Ausdruck für einen höchst erfolgreichen Manager, der es aber nicht nötig habe, das herauszustreichen, und daher auch ohne glänzendes Schuhwerk zurechtkomme.

+++ Tonali: Alexey Stadler gewinnt Finale +++

"Ich habe noch nie in so einem Saal gespielt", sagt der Cellist Alexey Stadler, der den diesjährigen "Tonali"-Wettbewerb gewonnen hat und den Abend mit seiner Duopartnerin Karina Sposobina bestreiten wird. "Und ich habe noch nie ohne Schuhe gespielt. Wahrscheinlich werde ich das in Zukunft immer tun!" Gelächter im Publikum. Die etwa 70 Besucher sind eine bunte Mischung: Man sieht deutlich mehr Kinder und mehr offensichtliche Galeriebesucher als sonst so in der Laeiszhalle. Wer möchte, kann das Konzert von oben, vom "Horizon Field" aus, verfolgen. Doch haben sich die meisten unter der hängenden schwarzen Ebene rund um den Flügel und das kleine Podest versammelt. Jeder sitzt auf etwas anderem: Campingstühle und Sofakissen sind vertreten, aber auch ein Biedermeiersessel.

+++ Tonali: Begnadet Cello spielen reicht nicht mehr +++

Akustisch ist das allemal die klügere Wahl. Denn die Klangverhältnisse in der Halle ähneln denen einer italienischen Kathedrale in der Hochsaison: Jeder Schniefer, jedes Klacken wird hundertfach von den Wänden zurückgeworfen und verbindet sich mit der Musik zu einem Klangknäuel.

Von Claude Debussys Cellosonate hätte man kein Achtel missen mögen, so nuanciert, artikuliert und geistreich spielen die Künstler. So umwerfende piani die beiden produzieren, da wird nichts impressionistisch verzärtelt - genauso wenig wie in der e-Moll-Cellosonate von Johannes Brahms, die die beiden in geradezu symbiotischem Zusammenspiel vortragen.

Auch die Schmankerln nach der Pause adelt Stadler mit seiner geschmackvollen Tongebung. Und wer den Ausflug nach oben wagt, der bekommt bei jedem Schritt, den er auf der diskret schwankenden Fläche macht, ein anderes Hörerlebnis serviert: Mal versteht man jeden Ton, mal scheint sich die Musik selbst zu überholen, oder sie verschmilzt wie im Delirium mit den Außengeräuschen und dem Blick auf den Kunstverein in der Abendsonne. Auge und Ohr sind längst versöhnt.

Ob's an der Hitze liegt, oder woher kommt das Zischen? Aber die Schlange, die sich draußen vorbeiwindet, ist dann doch keine. Sondern nur der Metronom aus Bremen.