Christopher Rüping inszeniert Wolfgang Herrndorfs Roman im Thalia Gaußstraße

Hamburg. Man muss schon kräftig ins falsche Fach greifen, um die Theater-Adaption des Jugend- und auch Erwachsenenromans "Tschick" zu versauen. Ist zum Glück nicht passiert, jedenfalls nicht am Thalia Gaußstraße: Dort hatte jetzt dieses tolle Stück Premiere, das derzeit landauf, landab inszeniert wird. Das deswegen, weil der Erfolg von Wolfgang Herrndorfs Roman zu verführerisch ist: Fast 600 000-mal hat sich "Tschick" seit seinem Erscheinen vor zwei Jahren verkauft. So etwas weckt theatralische Ambitionen.

Robert Koalls Bühnenfassung - die Uraufführung fand im Herbst 2011 in Dresden statt - wurde in Hamburg von Christopher Rüping (Regie) und Sandra Küpper (Dramaturgie) bearbeitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Knapp anderthalb Stunden amüsante, streckenweise wirklich gute Unterhaltung - mit dem süßen Vogel Jugend im Freiflug durchs karge Ambiente des Theaters. Am Ende lernt man dann etwas, wenn man offenen Herzens auf eine Reise geht, wenn man über die Prärie karriolt und einfach mal einen auf Asphalt-Anarcho macht - das ist so in etwa die Grundaussage von Herrndorfs Buch. Die Grundaussage nach der "Tschick"-Aufführung ist: Man kann einen Roadtrip auf die Bühne bringen.

Ohne Auto. Auch die Romanvorlage schöpft ihre Dynamik aus den Dialogen, und so wird das Geschehen bei "Tschick" auf der Bühne zur rasanten Abfolge lässig jugendlich dahergerotzter Sprechakte. Einfach mal draufloslabern, auch wenn sich zwischen den Zeilen die Dramen des Erwachsenwerdens verbergen - so wie Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow, die beiden Helden. Beide 14, beide etwas wackelig auf den Beinen: wie das bei denen so ist, die um Identität ringen.

Maik entstammt einer gut situierten, aber schlecht funktionierenden Berliner Familie, Andrej, genannt Tschick, ist russischer Spätaussiedler. Auch wenn der sich als wurstiger König von Ganz-und-gar-Egalien geriert, ist dieser Tschick (breitbeinig: Nils Kahnwald) genauso mit den feinen Nerven der Jugend gesegnet wie sein Freund Maik (selbstironisch: Pascal Houdus). Die beiden brettern mit einem geklauten Lada los, um in die Heimat von Tschicks Vorfahren zu cruisen - ganz buchstäblich in die Walachei.

Das Bühnenbild von Johannes Mertz ist sehr reduziert, eine graue Mondlandschaft, die tatsächlich etwas von "ganz weit draußen" hat. Der fremdartige Planet, das ist das Erwachsensein - oder eher die Jugend? Maik, Tschick und Isa (burschikos: Franziska Hartmann), die unterwegs von den Jungs aufgegabelt wird, tragen konsequenterweise die Monturen von Astronauten: Manchmal reicht Brandenburg als eingebildetes Weltall, durch das man schwerelos schweben kann.

Es wird öfter mal etwas zu energisch herumgeschrien auf der Bühne, aber das darf wohl als authentischer Ausdruck junger Körperlichkeit gelten, die doch eigentlich immer unter Triebstau leidet. Die Hamburger "Tschick"-Version hat gerade zu Anfang einen derben Rhythmus mit prolliger Erdung (2 Unlimited, Reel 2 Real, Beat Box, Destiny's Child) und legt es darauf an, Herrndorfs Pointen plakativ auszustellen.

Das ist deswegen okay, weil der "Tschick"-Stoff seinen Reiz aus diesen absurd-komischen Dialogen und Geschehnissen zieht. Die Einfälle der Hamburger Inszenierung sind hübsch: Um dem Roadtrip wenigstens ein bisschen auch den Charakter der physischen Mobilität zu geben, kreisen die Hauptdarsteller öfter mal mit einem Kreidewagen, wie man ihn von Sportplätzen kennt, über die Bühne.

Sie markieren so den ewigen, unvergesslichen Sommer (Maik: "Fast noch geiler als Fernsehen"), den wir alle mal in unserer Jugend erlebten - freilich meist, ohne minderjährig im Lada über die Autobahn zu heizen.

"Tschick" könnte auch in Hamburg zum Dauerbrenner werden.

Die "Tschick"-Aufführungen im Thalia Gaußstraße am 14., 19. und 23.9. sowie am 5.10. sind ausverkauft. Für den 18.9. (11 Uhr) gibt es noch Karten.