Der Vater im Schatten der Tochter

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Matthias Gretzschel

Guillermo Kahlo: Einer der großen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Frida Kahlos deutscher Vater war ein bedeutender Fotograf. Ein Buch dokumentiert sein Werk und widerlegt eine Legende über seine Herkunft.

Hamburg. Am 25. Mai 1890 bestieg ein junger Mann mit Bürstenhaarschnitt und Schnauzbart im Hamburger Hafen den Hapag-Dampfer "Borussia", um Deutschland für immer zu verlassen. Mit diesem einzigen Passagier an Bord nahm der Frachtdampfer Kurs auf Mexiko. Dort angekommen, begann der Auswanderer schon bald ein neues Leben mit neuem Namen und neuem Beruf: Aus Wilhelm wurde Guillermo, aus dem Kaufmann ein Fotograf.

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert fotografierte Guillermo Kahlo (1871-1941) Fabriken, Brücken, das im Bau befindliche Nationaltheater von Mexiko-Stadt, die Interieurs von Banken und Kaufhäusern, aber auch Kirchen und andere historische Bauten. Dabei interessierte er sich nicht für das pittoreske und folkloristische Mexiko, sondern vor allem für Technik, das Konstruktive, den Fortschritt. Seine exzellenten, stets mit großer Präzision komponierten, fast möchte man sagen: konstruierten Fotografien sind Dokumente eines Landes im Aufbruch. Manche Aufnahmen erinnern in ihrer stillen Intensität an die Industriefotografie von Bernd und Hilla Becher.

Daß Guillermo Kahlo erst spät als einer der großen Fotografen des frühen 20. Jahrhunderts entdeckt wurde, liegt nicht zuletzt an seiner Tochter Frida, deren enorme Popularität als Künstlerin lange Zeit den Blick auf das Werk ihres Vaters verstellte. Erstaunlich wenig wußte man bisher über diesen Mann, der Frida Kahlos künstlerische Entwicklung stets gefördert hatte. Und vieles, was über Guillermo bekannt zu sein schien, erweist sich nun als falsch.

Unter das berühmte, 1951 entstandene Bildnis ihres Vaters schrieb Frida Kahlo 1951: "Ich malte meinen Vater Wilhelm Kahlo, von ungarisch-deutscher Herkunft, Künstler und Fotograf von Beruf, von großzügigem, intelligentem und edlem Wesen, mutig, da er sechzig Jahre an Epilepsie litt, aber nie aufhörte zu arbeiten und gegen Hitler zu kämpfen." Wilhelm Kahlo, schrieb die Tochter auch an anderer Stelle, sei als Jude im ungarischen (heute rumänischen) Arad geboren.

Jahrzehntelang wurden diese Angaben nicht hinterfragt, die Historikerin Gaby Franger und der Lateinamerikanist Rainer Huhle, die alle verfügbaren Quellen auswerteten und dabei auch bislang unbekanntes Material zutage förderten, stellten jedoch fest, daß Wilhelm Kahlo weder Jude noch ungarischer Abstammung war, sondern am 26. Oktober 1871 in Pforzheim geboren wurde - als Kind einer protestantischen Familie. In dem von Franger und Huhle herausgegebenen, reich illustrierten Buch "Fridas Vater: Der Fotograf Guillermo Kahlo: Von Pforzheim nach Mexiko" (Schirmer/Mosel, 248 Seiten, 49,80 Euro) wird nicht nur Kahlos beeindruckendes fotografisches Werk vorgestellt, sondern auch die Familiengeschichte rekonstruiert.

Doch wer war dieser Mann, den Diego Rivera als "analytischen deutschen Konstrukteur, Zerstörer und skeptischen Träumer" bezeichnete? Manches an ihm bleibt rätselhaft. Auf einem Selbstporträt, das Guillermo Kahlo 1914 aufnahm, sieht uns der damals Dreiundvierzigjährige, ein stattlicher Mann in aufrechter Haltung, mit forschendem Blick an. Zu diesem Zeitpunkt war er längst ein namhafter und erfolgreicher Fotograf.

Schon zehn Jahre zuvor hatte er von der mexikanischen Regierung den größten Auftrag seines Lebens erhalten: die fotografische Dokumentation aller "Kirchen im Bundesbesitz" sowie der nationalen Gebäude und Denkmäler.

Neben den entsprechenden Abbildungen finden sich in dem vorzüglich gestalteten Band auch zahlreiche Familienbilder, darunter das Hochzeitsbild von 1998, das ihn mit seiner Ehefrau Matilde Calderon, Fridas Mutter, zeigt, und natürlich zahlreiche Fotos von Frida. Vor allem die meist frontal aufgenommenen Porträts machen den Einfluß deutlich, den Guillermo auf die Kunst seiner Tochter ausübte. Und Frida, die einst betonte, sie habe das "Auge des Vaters", war sich dessen sehr wohl bewußt.

  • Veranstaltungstip Im Rahmenprogramm der Frida-Kahlo-Ausstellung im Bucerius Kunst Forum (Rathausmarkt 2) findet am 19. Juli, 20 Uhr ein Vortrag von Gaby Franger und Rainer Huhle statt. Thema: Fridas Vater. Der Fotograf Guillermo Kahlo. Eintritt 10, erm. 8 Euro. Heute (7. Juli, 20 Uhr) findet im Bucerius Kunst Forum eine "Late Night Art" statt: Eintritt 22 Euro pro Person (inkl. Begrüßungscocktail, Snack, Führung). Karten im Abendblatt-Center, Caffamacherreihe 1 (Innenstadt/ Nähe Gänsemarkt) und an der Abendkasse.