Hamburg. Was geht denn hier ab?" - eine Frage, die im Laufe dieses mehr als außergewöhnlichen Theaterabends noch oft zu hören sein wird. Irritation auf allen Seiten: Da stapfen mehrere seltsam gekleidete Menschen, begleitet von einer Schar von "Pilgern", über den vom "Geilsten Weihnachtsmarkt Hamburgs" flankierten Kiez. Wie bei einer Prozession wird der Zug von einer Hirtin mit blinkendem Stern angeführt, die gleich zu Beginn die Marschrichtung vorgibt: "Folget dem Stern!" Der Titel der Aktion, einer Koproduktion von passbild theaterproduktionen mit dem St.-Pauli-Theater, ist dabei Programm: "Maria und Joseph auf der Reeperbahn. Eine begehbare Weihnachtsgeschichte."
Wir erinnern uns: Vor mehr als zweitausend Jahren machten sich ein Zimmermann und seine hochschwangere Frau auf die Suche nach einer Herberge. Damals hieß der Ort Bethlehem, heute findet die Reise auf dem harten Pflaster des Kiezes statt. Die Probleme sind dieselben. Als Erstes werden Maria (Veronique Elling) und Josef (Ercan Altun) aus dem Foyer des Theaters vertrieben, wo sie sich in einem Zelt niedergelassen hatten. Die Suche nach einem warmen Ort beginnt, und die Zuschauer werden auf diese Odyssee mitgenommen. Erster Versuch ist eine Privatadresse in der Kastanienallee. Und wirklich, es wird geöffnet. Die sichtlich erstaunte Wohnungseigentümerin reagiert gefasst auf die sich im Treppenhaus drängende Gruppe. Ein Obdach kann sie leider nicht gewähren, aber immerhin hat sie ein Glas Wasser für Maria. Der Truppe zieht weiter zur nächsten Wohnung, wo ein freundlicher Herr Mohammed ihnen den Tipp mit auf den Weg gibt, bei der Ausländerbehörde nach Asyl nachzufragen. Eine Station folgt der nächsten, und die Zuschauer tauchen immer mehr ein in eine Welt, in der es immer schwieriger wird zu unterscheiden, was noch gespielt oder schon echt ist.
"Das ist der Reiz der Geschichte: die Grenze zwischen Illusion und Realität aufzuheben", erklärt Regisseurin Katrin Spranger. Ein Plan, der funktioniert, dank Momenten wie dem festlichen Dinner in der Waschstraße einer Tankstelle, bis hin zum surrealistischen Stillleben eines nur mit Unterwäsche ausstaffierten Mannes samt Wohnzimmermöblierung auf dem Spielbudenplatz - Symbol für die Obdachlosigkeit. Die Geburt findet schließlich im "Cafee mit Herz" statt. Ein mit sozialkritischen Tönen versehenes Theatererlebnis der besonderen Art, dessen Faszination aus dem Spiel mit Inszenierung und Realität entsteht. Absolut erlebenswert.
- St.-Pauli-Theater, 19., 20., 21., 22.12. um 20.30 Uhr, Telefon: 47110666, www.st-pauli-theater.de
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