Ein Kommentar von Joachim Mischke

Hin und wieder gibt es klassische Konzerte, bei denen man am liebsten noch nicht mal in derselben Stadt wäre wie das hinrichtende Orchester. Das genaue Gegenteil - der Wunsch, als Zuhörer und Beobachter mittendrin zu sein, wo es passiert, wo die Luft vibriert vor erstklassigem Klang und perfekter Harmonie - ist eher selten. Und reichlich schwierig zu erfüllen. Denn diesen hart erarbeiteten Standortvorteil hat in aller Regel nur einer: der Dirigent. Der Maestro im Epizentrum der Gefühle sieht im Idealfall alles, er hört jeden, vor allem aber: Alle sehen ihn, und jeder gehorcht ihm. Nur fliegen dürfte noch schöner sein.

Das Amsterdamer Concertgebouworkest, dank des Chefs Mariss Jansons für viele das beste weltweit, hat nun angekündigt, virtuelle Zuschauerstühle ins Tutti zu stellen. Zum 125. Geburtstag des Orchesters wird es 2013 möglich sein, sich übers Internet dazuzuschalten und sich während des Konzerts wie Jansons im Geschehen umzusehen. Damit haben die Holländer die Berliner Philharmoniker überholt, deren digitale Konzerthalle noch kein derartiges 360-Grad-Erlebnis zulässt. Einziges Manko bei diesem 1,25 Millionen Euro teuren Kundendienst ist und bleibt allerdings der Klang. Also die Hauptsache. Was nützt einem dieser Breitband-Platz in der Wonne, wenn aus den Computer-Boxen nur Schmalspur-Stereo tröpfelt? Dann doch lieber live weniger sehen. Aber besser hören.