Weil ein Hamburger Verleger an das Antikriegsbuch “Matterhorn“ eines Vietnamveteranen glaubt, erscheint das Werk nun auch in Deutschland.

Hamburg. Der 67-jährige Vietnamveteran Karl Marlantes war unlängst in Deutschland unterwegs. Er besuchte seinen Verleger in Hamburg: Marlantes' Roman "Matterhorn" erscheint dieser Tage auf Deutsch, im kleinen Arche-Verlag. "Matterhorn" ist ein Riesenerfolg in Amerika, dem Land, zu dessen nationalem Erbe das Vietnamkriegs-Trauma genauso gehört wie der Glaube an die Freiheit, Baseball und Coca-Cola. Es ist ein Kriegs-, ein Antikriegsroman, der wochenlang auf der Bestsellerliste der "New York Times" stand und auch hierzulande einige Beachtung finden wird. Warum dieses gewichtige Buch ausgerechnet bei Arche erscheint, einem kleinen Hamburger Verlag? Weil Arche-Chef Nikolaus Hansen an diese Geschichte glaubt. Er sagt: "Es ist ja eigentlich auch eher ein Buch für den amerikanischen Markt."

"Matterhorn" ist die Geschichte von Karl Marlantes, einem Mann, der 1967 im Alter von 23 Jahren nach Vietnam kam, mehrfach für seine Tapferkeit ausgezeichnet wurde und danach, wie so viele, schwer an seinen Kriegserinnerungen trug. Und deshalb ist "Matterhorn" das Werk von einem, der sich seine Erfahrungen in Vietnam von der Seele wegschreiben musste.

+++ Gegen den Krieg +++

Dass es ihm darum ging, erzählt Marlantes den Soldaten, sie waren in Vietnam oder sind in Afghanistan, die zu seinen Lesungen kommen. Aber das erklärt sich dem eigentlich von selbst, der das Buch liest. Es ist eine quälend genaue Beschreibung des Krieges, dieser Ausgeburt des Wahnsinns: Der Tod ist überall, in jeder Ecke des Dschungels und auf jeder Seite dieses großen Buchs.

"Es geht in dem Roman nicht um die Frage nach richtig oder falsch, es geht nur ums Überleben", sagt Verleger Hansen, der schon mal ein Buch über den Vietnamkrieg gemacht hat: Michael Herrs "Dispatches". Und weil Überleben so schwer ist, eine Frage des Zufalls, des Glücks, wenn von Vernichtungswillen getriebene Menschen einander nach dem Leben trachten, weil der Tod allgegenwärtig ist, kam einer von Marlantes' Söhnen in einer Waldhütte zur Welt. Marlantes wollte die Geburt vor den Behörden geheim halten: Wer nicht registriert wird, wird nicht eingezogen. Wer nicht im Krieg ist, der stirbt nicht, jedenfalls nicht so leicht.

Marlantes überlebte und schrieb 30 Jahre an "Matterhorn", dem Buch, in dem ein Lieutenant namens Waino Mellas in die grüne Hölle auf Erden kommt: ein Albtraum aus Blutegeln, Bambus, Elefantengras, Monsunregen, Hunger, Durst, permanenter Todesangst, Befehlsterror und Tötungszwang. Marlantes zeichnet ein Bild des Krieges, wie wir es aus Filmen wie "Platoon" kennen. Es hat genaue Konturen und zeigt in scharfen Kontrasten den Gefechtsalltag, die Eifersüchteleien in der Kompanie, das aberwitzige und doch völlig normale Hierarchiedenken, den Ehrgeiz der Führungsleute. Die ewigen Aufklärungsmissionen. Gewaltmärsche, die Sinnlosigkeit des Tuns, weil sich sowieso niemand den Dschungel untertan machen kann. Zwei tote Nordvietnamesen bei einer Feindberührung sind da schon ein großer Erfolg. Der einzelne Soldat ist ein Werkzeug, das so lange eingesetzt wird, wie es funktioniert - dass viele Tausend GIs nach dem Krieg (der mehr als drei Millionen Opfer forderte, davon 58 000 Amerikaner) seelisch kaputt waren, wird einem bei der Lektüre schmerzlich bewusst.

Das "Matterhorn" des Romans ist ein Hügel an der Grenze zu Nordvietnam und Laos, den die Einheit von Waino Mellas zunächst befestigt, dann räumt, dann wieder erobern soll. Das Einnehmen der von ihnen selbst gebauten Bunker ist ein Himmelfahrtskommando und dient nur der Reputation des Bataillonskommandeurs. Die Operation ist, aus Sicht des jungen Mellas, verlustreich: Viele seiner ebenso jungen Freunde gehen drauf. Marlantes beschreibt die todbringende Attacke en detail: das Kriegsfieber, die Euphorie, das Töten und Überleben des Einzelnen als fast schon übersinnliche Erfahrung, die körperliche Erregung - und das Sterben der Freunde.

Um den Helden nach der existenziellen Erfahrung schlechthin sagen zu lassen: Das war "einfach der ganz gewöhnliche Krieg". Nichts Besonderes also. Die toten Freunde? "Geringe Verluste." Kameradschaft und militaristische Romantik spielen eine große Rolle in "Matterhorn": Ihre Anwesenheit mutet für den Außenstehenden, dem alles Soldatische völlig fremd ist, nur kurzzeitig seltsam an. Dann schon fühlt man sich in die Automatismen des Krieges ein und in die Notwendigkeit, dass das Überleben Einzelner mit dem Überleben aller zusammenhängt. Manche Dialoge kommen einem pathetisch und rührselig vor - aber wer möchte am Bewusstseinszustand todgeweihter Menschen zweifeln?

"Matterhorn" ist auch ein Abenteuerroman, man schlägt sich auf die Seite der Amerikaner. Und das, obwohl Karl Marlantes von der Lust am Töten erzählt. "Ich bin eher ein Kriegsgegner", sagt Verleger Hansen, Jahrgang 1951. Warum dann dieses Buch, Herr Hansen? "Weil es den Krieg an sich beschreibt. Kunst muss das immer wieder tun, da reicht die 'Guernica' von Picasso nicht."

Im Frühjahr 2010 begann Hansen sich für den Titel zu interessieren - wobei der amerikanische Verleger Hansen eigentlich ganz andere Lizenzen verkaufen wollte. "Er lächelte nur müde, weil er dachte, der Vietnam-Stoff sei nichts für Europa", sagt Hansen. Vielleicht dachten das auch die großen Verlage, Rowohlt aus Reinbek zum Beispiel. Dort vermutete man einen amerikanischen Bestseller eher als beim kleinen Arche-Verlag. "Wir waren früh dran, und wir machen ein Programm, das nicht nur den finanziellen Erfolg im Auge hat", sagt Hansen. Er glaubt an das Buch, und das Risiko scheint sich zu lohnen: Es gibt viele Vorbestellungen. Das Buch hat auch hierzulande Leser verdient.

Karl Marlantes: "Matterhorn", Arche Verlag. Übers. v. Nikolaus Stingl. 670 S., 24,95