Berlin. Ein paar fehlende Zentimeter und eine gemeinsame Passion waren schuld, und die Geschichte beginnt am beziehungsweise im Mittelmeer: Dennis Scheck traf 2003 in Nizza den Bestsellerautor Frank Schätzing, um ihn für sein ARD-Literaturmagazin "Druckfrisch" auf einem alten Schlepper zu interviewen. Scheck wollte das Gespräch über Schätzings Meeresbiologie-Thriller "Der Schwarm" mit einem Sprung vom Deck auf den Kai beenden, der wohl Cary Grants mondäner Eleganz gewidmet sein sollte. Schöne Idee eigentlich, auch von wegen "Über den Dächern von Nizza". Hat nur leider nicht geklappt. Scheck kugelte statt dessen in den Hafen von Nizza, und für sein Kamerateam, das diesen sympathischen Moment für die Nachwelt und die "Druckfrisch"-Zuschauer festhielt, fielen Ostern und Weihnachten auf einen Tag.
Dieser Reinfall, eine geradezu klassisch donaldeske Pointe, war für Schätzing und Scheck der Beginn einer ebenso wunderbaren wie folgenreichen Freundschaft. Beide entdeckten, daß tragikomisches Scheitern auf hohem Niveau dauerhaft zusammenschweißen kann. Daß sie, von außen betrachtet, zwar wie ein berüchtigt scharfzüngiger Literaturkritiker und ein Kölner Erfolgsautor wirkten. In ihnen jedoch steckten fanatische Donald-Duck-Bewunderer und Wahl-Entenhausener, die Spezialvokabular wie "Pastinakenpudding" (der denkbar schlimmste Fraß für jede Entenhausener Ente) problemlos in jeden Party-Smalltalk einstreuen können. Und ihre Wetten unter Freunden schließen sie natürlich so ab, wie es auch Donald Duck und Gustav Gans schon taten - "Du mußt zehn Liter Zitronenlimonade trinken, wenn . . . !"
Drei Jahre und viele donaldistische Fachsimpeleien unter Rotweineinfluß später legen Schätzing und Scheck eine maritime Hommage an den berühmtesten Matrosenanzug-Träger der Weltliteratur vor: "Die tollkühnen Abenteuer der Ducks auf hoher See", einen liebevoll aufbereiteten Prachtband mit gut zwei Dutzend Duck-Klassikern aus der Feder von Carl Barks, die allesamt an oder auf dem Meer spielen. Warum ausgerechnet dort? "Die Ente an sich ist ja ein Schwimmvogel", philosophiert Schätzing, "das Meer eröffnete Barks' erzählerischem Genius unendliche Möglichkeiten, seine Enten", wenn's sein muß bei Wind und Wetter, "da raus" zu schicken. Und gerade Barks' Meeresstücke seien ganz große Stimmungs-Kunst auf kleinem Raum. Für Barks' Detailversessenheit insbesondere im Meereskundlichen zollt Schätzing mittlerweile auch professionellen Respekt. Bei den Haien beispielsweise stimmt sogar die Form der Kiemenklappen, und wenn der "absolute Kopfabenteurer" Barks mal wissen wollte, wie ein Riesenkrake aussieht, habe er in"National Geographic"-Ausgaben oder sonstwo so lange recherchiert, bis ihm das klar war.
Schätzing analysiert tieferliegende Verbindungen ohne viel Federlesens ins große Blaue hinein, Scheck erinnert in einem Nachwort an die geniale Übersetzerin Dr. Erika Fuchs. Für ihn ist sie in einem Atemzug mit Luther als das andere Übersetzer-Genie der deutschen Literaturgeschichte zu lobpreisen. Dr. Fuchs (der Titel war zu ihren Lebzeiten ganz wichtig, um dem vermeintlichen Schmuddel-Genre Comic akademische Weihen zu verleihen) erfand schließlich nicht nur den nach ihr benannten "Erikativ", die Verkürzung auf Verbstämme wie "stöhn", "knirsch" oder "grummel". Sie legte ihren gefiederten Schützlingen auch jenes mit Klassik-Zitaten und Anspielungen gespickte Deutsch in die Schnäbel, das Generationen von Lesern verzückt, weil es, "diducktisch wertvoll" gewissermaßen, über die Widrigkeiten des endlichen Daseins hinwegtröstet. "Es ist der deutsche Donald, den wir lieben. Donald gibt uns Absolution, er segnet unser aller Mittelmäßigkeit, weil er immer wieder aufsteht, wenn er auf den Schnabel fällt."
Für Schätzing, der mit Barks' Geschichten groß geworden ist, war der "ewige Trostpreisgewinner" (FAZ) Donald ohnehin wie ein naher Verwandter:"Das war wie ein Spiegel meiner Familie; alles, was da passierte, kannte ich schon. Außerdem hab' ich über diese Comics gutes Deutsch gelernt. Die Ducks sprachen besser als mein Deutschlehrer." Die grundsätzliche Geschmacksfrage wie in der Musik - Beatles oder Stones? Bach oder Beethoven? - hat sich für Schätzing nie gestellt. "Es war von Anfang an Donald für mich. Micky Maus war mir zu sehr moralische Instanz, zu aufrecht, zu schleimig. Der hatte schon etwas spießerhaft Subversives." Vielleicht ist Schätzing auch deswegen kein eingetragenes Mitglied bei den für Orthodoxie anfälligen "echten" Donaldisten. "Ich bin kein Freund von Vereinen und betrachte mich da eher als freien Mitarbeiter." Im letzten Jahr hat er aber dennoch in Köln einen Kongreß für nicht vereinsgebundene Gleichgesinnte ausgerichtet, unter anderem mit dem FAZ-Feuilletonchef und bekennenden Duck-Theoretiker Patrick Bahners als Gastdozent. "Der hat die Leute aus dem Saal gequatscht: Er hat zwar versprochen, sich ans Zehnminutenlimit zu halten. Doch als er bei 30 Minuten war, kamen die ersten ,Seufz'-, ,Gähn'- und ,Stöhn'-Rufe aus dem Publikum."
Bei seinen satirischen Elogen aufs Allzuentliche kommt Schätzing zu überraschenden und verblüffenden Erkenntnissen, von denen einige bei Donaldisten sicher ein heftiges "Grübel" auslösen werden. Er verortet Entenhausen, jenen mystischen Ort, in dem zwar Enten leben, der Bürgermeister-Posten aber interessanterweise stets mit einem Schwein besetzt wird, am Meer. Entenhausen hat sogar einen Strand und liegt auf der donaldistischen Weltkarte "eher am Atlantik als am Pazifik. So in der Gegend von Boston". Der alte Geizkragen Dagobert, den alle gern beerben wollen, stirbt nur deswegen nicht, weil er durch die Anstrengungen seiner Verwandten, ihm nachzufolgen, quasi unsterblich gemacht wird. Er hortet sein Bares nicht nur, mit seinem Bad im Geldspeicher "vögelt er sein Geld", findet Schätzing. Ungefährlich sei dieser Spaß momentan ja nicht mehr: "Wer zu lange in kaltem Geld badet, bekommt Vogelgrippe."
Da letztlich nicht nur - zumindest im metaphysischen Sinne eines leidenschaftlichen Cineasten - alles Western, sondern irgendwie auch überall Entenhausen ist, bleibt Donalds Heimatstadt auch vor dem Sog ins Politische nicht verschont. Wie war das mit der 68er-Interpretation vom ausgebeuteten "underduck", von der Kinderarbeit der drei Neffen - tobt eigentlich der Klassenkampf durch Entenhausens idyllische Straßen? Toben würde er das nicht nennen, relativiert Schätzing mit rheinischer Gelassenheit, "er bebt ein wenig und entlädt sich in kleinen, familiären Dramen. Donald ist immer nur solange gegen das Establishment, bis er ihm angehört." Das Fähnlein Fieselschweif, die Pfadfindertruppe von Donalds Neffen, das sähe allerdings mitunter schon wie eine Entenhausener Hitlerjugend aus.
Ein ganz wichtiges, wenn nicht das wichtigste Tabuthema überhaupt im Duckschen Kosmos: das Frauenbild und der Sex. Da kommt dann auch Schätzings rheinischer Akzent besonders gut, da kann er sich geradezu in Ekstase deuten. "Sex in Entenhausen? Ganz kryptisch." Aus irgendwelchen Eiern müssen die ja alle gekommen sein, man sieht nur nie was davon. Und das, obwohl alle ständig mit nacktem Unterleib herumlaufen. Das typisch Entenhausener Phänomen der Veronkelung und Vertantung - nirgendwo Eltern oder Kinder, immer nur Neffen, Nichten und dergleichen - erklärt sich Schätzing mit "Zensur". Barks, Schöpfer und Gott-Vater der Ducks, habe das damals eben nicht so direkt zeigen können. Donald sei aber wohl nicht der Onkel von Tick, Trick und Track, sondern eher der sitzengelassene Vater, "die Mutter ist bestimmmt mit einem schicken Erpel abgehauen". Und seitdem will Donald Daisy ans Gefieder, die Schätzing aber für "eine ziemliche Schlampe" hält. "Ihre Perspektive ist nicht so weit gefaßt." Donald darf ihr immer wieder was schenken, kriegt hin und wieder was mit der Handtasche übergezogen, rennt ihr ansonsten aber nur "mit erigiertem Bürzel hinterher, ohne zum Schuß zu kommen".
Schätzings pragmatische Lösung für das größte aller Rätsel: In Entenhausen wird am laufenden Band gevögelt - "aber immer nur Quickies!" Und die sieht man nicht, weil sie, der oben vermuteten Zensur wegen, nur hinter den weißen Balken zwischen den Comic-Bildern passieren können.
Die Donald-Duck-Bände seiner Jugend, ganze Jahrgänge inklusive, hat Schätzing natürlich noch. Andere Comic-Schätze sind seitdem aber unrettbar verschollen: "Die Mama hat meine komplette ,Zack'-Sammlung mal irgendwann weggeworfen, das tut mir heute noch weh." Bei diesen Dingen hört der Spaß für Schätzing auch relativ schnell auf: "Ich bin ja kein Kinderhasser, aber Kindern würde ich meine alten Donald-Duck-Hefte nicht geben. Die sollen Kinderliteratur lesen. Donald Duck ist nur was für Erwachsene."
- "Die tollkühnen Abenteuer der Ducks auf hoher See" Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Frank Schätzing, übersetzt von Dr. Erika Fuchs. 490 Seiten, 39,90 Euro, marebuchverlag. Auf einer beigefügten CD ist ein Interview zu hören, das Dennis Scheck 1994 mit Erika Fuchs geführt hat. Außerdem gibt es eine Vorzugsausgabe von 313 Exemplaren mit signierter und numerierter Graphik von Frank Schätzing für 150 Euro.
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