Niemand wollte ihre Musik. Da gründeten drei Freunde ein eigenes Label und prägten auf diese Weise das Hamburgbild einer Generation.

Hamburg. Fünf Männer im Gegenlicht. Auf einem Boot, das durch den Hafen fährt. Sie machen Rockmusik und erzählen davon, "dass man weitermachen muss". Die Menschen, die ihnen zuhören, trinken dazu Bier und Sekt. Ihre Gesichter leuchten, die Kräne ragen empor, der Himmel ist weit offen. Und die großen Schiffe, sie liegen da wie ein mächtiges Versprechen.

Die Band spielt ihren Hit "Landungsbrücken raus". Genau dann, als die Landungsbrücken vorbeiziehen. All das Maritime und der Kitsch, das Ganze fast schon zu perfekte Timing werden von dieser Durchhaltehymne zugleich revidiert und verstärkt. Da ist dieses starke Gefühl, die Schönheit der Stadt nicht allein den Touristen und Vermarktern überlassen zu müssen.

Das Konzert der Band Kettcar im Sommer 2003 hat sich mit der Abendsonne in die Erinnerung der Anwesenden eingebrannt. Und diese Fahrt auf der Elbe ist gewiss einer der Schlüsselmomente der Hamburger Plattenfirma Grand Hotel van Cleef, die diesen Sonntag mit einem Festival auf der Trabrennbahn ihr zehntes Jubiläum feiert. Die Nummer "Landungsbrücken raus" und das dazugehörige Album "Du und wieviel von deinen Freunden" war letztlich der Grund dafür, dass Sänger Marcus Wiebusch und Bassist Reimer Bustorff mit ihrem Kumpel Thees Uhlmann 2002 auf zwölf Quadratmetern ihr Label gründeten. Mehrere Majorfirmen hatten das Kettcar-Debüt damals bereits abgelehnt. Also machten die Männer es in einer Mischung aus Trotz und Angst eben einfach selbst.

Das Internet hing noch an einem Modemkabel, das je nach Bedarf hin und her gereicht wurde. Die ersten Bestellungen packten sie auf dem Boden hockend ein. "Wir haben auf der höchsten Welle der Frustration angefangen. Außerdem hatte ich Hunger, und Marcus hatte Pizza im Kühlschrank", erzählt Uhlmann, Frontmann von Tomte, der zweiten wichtigen Band des Labels.

Um über den runden Geburtstag zu sprechen, haben die drei Freunde in die Beatlemania auf St. Pauli geladen, kurz vor der Schließung des kleinen Kiezmuseums. Das Grand Hotel, es mochte immer schon die Aura des Underdogs.

An diesem Vormittag schauen sie noch etwas müde aus den Augen. Bustorff in grauem und Uhlmann in schwarzem Pulli, Wiebusch trägt ein schwarzes Poloshirt. Es scheint, als hätten sie es zur Kunst erhoben, möglichst unprätentiös auszusehen. Doch dieses Normale, Kumpelhafte, diese Einer-von-euch-Attitüde ist Teil des Selbstverständnisses. Und des Erfolgs.

Sound und Verse des Grand Hotels waren vor allem in den frühen Nullerjahren so etwas wie die Komplementärfarbe zur viel zitierten Hamburger Schule. Jahrelang hatten die Fans kluger deutschsprachiger Songs mit Bands wie Blumfeld aufs Schönste intellektuell geliebt und gelitten. In den Liedern von Kettcar und Tomte herrschte zwar immer noch nicht eitel Sonnenschein. Aber das Scheitern wurde mit mehr Bier, Korn und Sprite gefeiert, mit Oasis-Chören und einem Pathos, der auf die Zwölf ging. Statt "Tausend Tränen Tief" zu beschwören, wie Blumfelds Jochen Distelmeyer 1999, glaubte Thees Uhlmann 2003 an "Die Schönheit der Chance". Und diese Chance packten die Grand-Hoteliers mit ihrem Label am Schopfe. Zu Beginn durchaus auch mit einer gewissen Naivität.

Anfangs hätten sie noch eher versucht, befreundete Bands zu unterstützen, erzählt Wiebusch. Nicht unbedingt mit finanziellem Gewinn. "Dass das wirtschaftlich falsch war, heißt nicht, dass es nicht richtig war", erklärt Bustorff. Ein Satz wie aus einem Kettcar-Song. Einem Song wie "Deiche" zum Beispiel: "Ein Volk steht wieder auf, na toll/Bei Aldi brennt noch Licht/Du weißt: Deiche brechen richtig/Oder eben nicht", singt Wiebusch da in typisch halb wütender Manier, während Gitarre und Schlagzeug voranpreschen.

Dieser Charme des Ehrlichen machte auch vor der Kinoleinwand nicht halt. Um Schauspieler Jürgen Vogel als Sänger formierte sich für den halb dokumentarischen Tourfilm "Keine Lieder über Liebe" 2005 eine Grand-Hotel-Allstar-Band mit Wiebusch und Uhlmann sowie Felix Gebhard und Max Schröder. Die Songs der Hansen Band (benannt nach dem Antihelden der Geschichte) erschienen auf einer eigenen Platte. Hauptdarstellerin Heike Makatsch wiederum schilderte die Filmstory in "Ellens Tagebuch" aus weiblicher Sicht. Ein Crossover-Marketing, das für das Label einen großen Bekanntheitsschub bedeutete.

Fünf Jahre nach ihrem letzten Konzert wird die Combo mit Jürgen Vogel in Originalbesetzung beim Grand-Hotel-Geburtstag in Bahrenfeld spielen. Stunden der Nostalgie, durch die Entertainer Bernd Begemann führen wird.

Im Laufe der Jahre, in der die Gründerväter teils wirklich zu Vätern wurden, ist das Label zu einer Firma angewachsen, die längst nicht mehr nur Tonträger veröffentlicht - etwa von der norddeutschen Hardcore-Kapelle Escapado und den niederrheinischen Indierockern Kilians. In ihrem Büro an der Feldstraße kümmern sich acht Leute um Tour-Booking, einen angegliederten Musikverlag und den Verkauf von Merchandise-Artikeln. Die Musikindustrie hat sich aufgefächert. Wer sich breit aufstellt, der lebt länger. Und wer mit Freunden arbeitet, der kann einschätzen, wer was am besten kann.

"Reimar macht Steuererklärungen wie ein Fachanwalt. Marcus weiß, wie man Platten herausbringt vom ersten bis zum letzten Häkchen. Und ich quatsche alle voll, wie toll die Musik ist, bis ich von München bis Flensburg durch bin", sagt Uhlmann. Der 38-Jährige ist einer, der gern schnackt. Und anekdotenreich zurückdenkt an das, was war.

"Das erste Mal mit Tomte beim Hurricane-Festival: Mit was für Instrumenten ich da gespielt habe! Das war alles kaputt", sagt Uhlmann, ereifert sich und fährt sich durchs blonde Friesenhaar. Er erzählt so, wie er es in dem Song "Was den Himmel erhellt" von 2006 besingt: "Wir erinnern uns an alles/An jede Geste, jedes Wort". Und nie dehnte Uhlmann die Vokale länger und schöner als auf dem dazugehörigem Album "Buchstaben über der Stadt". Das Stück enthält auch einen Satz, der die Haltung zusammenkocht, die das Grand Hotel prägt: "Es ist ein gutes Gefühl/Zu sagen, wir kennen uns noch in zehn Jahren." Es geht um nicht weniger, als sich nach zehn Jahren des Schaffens und Streitens, Durchhängens und -haltens noch in die Augen schauen zu können (auch wenn Uhlmann dafür bei Wiebusch und Bustorff auf einen Stuhl steigen muss).

Denn Durststrecken und Niederlagen gab es in der Historie dieses kleinen hanseatischen Unternehmens. Etwa die Erkenntnis, eine später sehr erfolgreiche Band wie Death Cab For Cutie zwar hierzulande aufgebaut zu haben, aber letztlich nicht halten zu können.

Doch für die Zukunft ist Uhlmann zuversichtlich: "Spannend bleibt's auf jeden Fall. Die Leute werden weiter Geld für Musik ausgeben." Und Wiebusch ergänzt: "Das Grand Hotel wird immer ein Hafen für uns sein." Landungsbrücken inklusive.