Peter Rühmkorf schrieb oft über seine Dichter-Kollegen - nachlesen kann man dies in einem Lesebuch mit Preisreden, Essays und Kritiken.

Hamburg. Der Hamburger Onkel des berühmten deutschen Dichters Heinrich Heine, der als Harry Heine 1797 in Düsseldorf geboren wurde, dieser Onkel Salomon Heine sagte einst über seinen Neffen: "Hätte der dumme Junge was gelernt, so brauchte er nicht zu schreiben Bücher."

So viel zum Kulturgut Buch und seinem Ansehen, das zu allen Zeiten manchen Zeitgenossen so gar nicht einleuchten wollte!

Der Hamburger Lyriker und Essayist Peter Rühmkorf (1929-2008) bezeichnete die Bücher übrigens als Medien "literarischer Astralleiber". Er glaubte unbedingt an sie. Und an die Köpfe hinter ihnen, die Dichter, Denker, Schöngeister, Unruhestifter, Verführer, selbst an die Blödschreiber und Nervensägen. Im Laufe seines Lebens hat Rühmkorf viele Texte über seine Kollegen aus der Literatur verfasst: Er hat sie gepriesen, gewürdigt, auseinandergepflückt, abgelehnt, verehrt und, vor allem, gelesen. Unter der Herausgeberschaft von Susanne Fischer und Stephan Opitz erscheint nun ein opulenter Band, der Rühmkorfs Preisreden, Tagebuchnotizen, Essays und Feuilletonartikel vereint, die sich mit den anderen in der Schriftstellerzunft beschäftigen: Er heißt "In meinen Kopf passen viele Widersprüche. Über Kollegen" und ist eine feine Angelegenheit.

Weil die Sammlung nämlich nicht nur viel über vergangene Zeiten im Literaturbetrieb und Geistesleben der Bundesrepublik verrät, sondern sehr viel über Rühmkorf selbst. Der in Dortmund geborene, aber von seiner alleinstehenden Mutter in Warstade bei Stade groß gezogene Rühmkorf, ein verhinderter Lehrer, setzte das Leben der Kollegen oft in Beziehung zu seinem eigenen: So auch dasjenige Heinrich Heines. Als er 1988 den Heinrich-Heine-Preis der DDR überreicht bekam, hielt Rühmkorf eine Rede, in der er Parallelen zwischen seiner und Heines Dichterwerdung zog. Die schlimmsten Ängste, die die Heines nämlich hinsichtlich des jungen Heinrich durchstehen müssen, sind: dass er ein armer Poet und ein zerlumpter, armer Teufel werde.

Das wurde Heine ja zum Glück nicht - auch, weil sein reicher Onkel aus Hamburg ihn finanziell unterstützte, ein Millionär, der dem jungen Mann die erfolglosen Versuche in seinem Bankhaus und einem eigens eingerichteten Tuchgeschäft nicht übel nahm.

Dieses Glück, in eine privilegierte Familie hineingeboren zu sein, hatte der Heine-Bewunderer Rühmkorf nicht: Seine Mutter wünschte sich für ihn eine Beamtenlaufbahn. So, wie das Eltern, die auf Protektion und Absicherung aus sind, eben tun.

Rühmkorf arbeitete von 1958 bis 1964 als Lektor bei Rowohlt in Reinbek. Danach lebte er als freier Schriftsteller in Hamburg und war irgendwann auch berühmt, verfolgte aber, wie sein Vorgänger Heine, kaum den Berufsweg, den sich seine Mutter für ihn gewünscht hatte. Die "Lehrerei" (Rühmkorf) hatte er schnell aufgegeben - an der Lehrerbildungsanstalt in Lüneburg wollte man ihn zum Beispiel nicht; Rühmkorf erklärte die Berufsentscheidung unschuldig und wie folgt: "weil ich dann genug Zeit für meine eigentliche Passion, für das Dichten habe". Als sie das hörten, wollten sie ihn nicht bei den Lehrern.

All das erzählt Rühmkorf auf seine launige Art in einer Heinrich Heine gewidmeten Dankesrede, ohne dabei auch nur das kleinste bisschen eingebildet zu klingen: Warum sollte er in seinem Selbstverständnis als Dichter nicht Bezug nehmen auf den weltberühmten Altvordern?

Zu den vielen kleineren und größeren Stücken in dem Rühmkorf-Band, die kleineren und größeren Geistern gewidmet sind, zählen Texte über Arno Schmidt, Gottfried Benn, Wolfgang Borchert, Max Frisch, Hans Henny Jahnn, Ernst Jünger und Friedrich Gottlieb Klopstock - Zeitgenossen, denen Rühmkorf aus ästhetischer, persönlicher oder auch lokaler Nähe zugeneigt war. Manchen und manchem war er freilich abgeneigt: Adorno zum Beispiel, dem, laut alphabetischer Reihenfolge, gleich der erste Eintrag in diesem Lesebuch gebührt.

Ein ganz kurzer nur, eine Lesenotiz, die die Herausgeber in Rühmkorfs 1995 erschienenem Tagebuch "TABU 1" fanden. Sie formuliert bissig in Richtung der Frankfurter Schule: "Ein unaufrichtiger TUI-Verein, theorieverbissen, praxisscheu und von weltlicher Cleverness nur, wo es um die eigenen Pfründe und Brotkörbe geht."

Seine Helden sind andere, zum Beispiel der große Rilke (der aber nur halb: "Ich liebe ihn, aber ich kann ihn nicht leiden", so das bemerkenswerte Urteil Rühmkorfs) und ganz besonders der Volksdichter Ringelnatz. Der war der Einzige, dem Rühmkorf je ein Gedicht zueignete: "Kringel für Ringel". 1963 würdigte Rühmkorf den 1934 gestorbenen als Hans Bötticher in Sachsen geborenen in einem Artikel der in Hamburg gegründeten Zeitschrift "Konkret", für die Rühmkorf lange arbeitete. Ringelnatz war für Rühmkorf eine Ausnahmeerscheinung; einer, der nicht zu den "deutschen Innigkeitskrämern und Erbauungsschreibern" gehörte. Ringelnatz sei ein "Meister des Beiläufigen, Gelegentlichen, Improvisierten" gewesen. Rühmkorf selbst ist ein Meister der Assoziation, des geistvollen Feuilletons. Nur manchmal, zum Beispiel wenn es um Mütter und ihre schriftstellernden Söhne geht, schäumt es ein wenig zu sehr in der Diktion des Stilisten: "Ein in sehr frühen Unschuldszeiten vorgeprägtes Bild der Mater, der Nährmutter, bestimmt die Wahrnehmungsweise und Schreibart des Dichteres auch dort noch, wo der naturwüchsige Materialismus sich zum anspruchsvollen philologischen Sensualismus verfeinert", schreibt er einmal. Derlei Sätze schmälern aber keineswegs das Lesevergnügen. Die gezeichneten Dichterporträts stammen von dem Künstler F.W. Bernstein.

Peter Rühmkorf: "In meinen Kopf passen viele Widersprüche. Über Kollegen". Wallstein. 400 Seiten, 24,90Euro

Buchvorstellung im Literaturhaus mit Susanne Fischer, Joachim Kersten, Stephan Opitz und Thedel von Wallmoden am 22. August, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr.