Daniel Karaseks Inszenierung überzeugt mit guten Sängern, hintersinnigen Kommentaren und Spezialeffekten.

Kiel. Bei der Erwähnung Kiels liegt der Gedanke an südländische Leidenschaft nicht allzu nah. Das mag ein Grund dafür gewesen sein, dass die Förde-Anwohner ihr Sprotten-und-Segler-Image leid hatten und beschlossen, den Rathausplatz mit Puccinis "Tosca" zur Opern-Piazza aufzuwerten und sich dort erstmals eine große Dosis mediterraner Leichtigkeit zu verordnen. Mit viel Fantasie ähnelt der Rathausturm am Spielfeldrand dem Campanile, dass das Stück in Rom spielt, soll höchstens kleinliche Geister stören. Venedig oder Puccini, Hauptsache Italien.

Das Kieler Opernorchester musste für dieses Event lediglich aus dem Bühneneingang treten, es wurde allerdings mitsamt Chefdirigent Georg Fritzsch blickdicht in ein Plastikzelt neben der Bühne eingeschweißt, weil das Ausheben eines Orchestergrabens den Etat nun doch gesprengt hätte. Der Klang der Musiker, die bei hochsommerlichen Abendtemperaturen köchelten, kam daher ebenso aus Lautsprechertürmen wie die mikrophonverstärkten Sängerstimmen, um jeden der 1200 Tribünen-Plätze zu beschallen. Details und Feinschliff ließen sich also nur erahnen, aber der generelle Eindruck war ganz annehmbar.

Ein Hauch von Bregenz lag über der spärlich mit Requisiten bestückten Bühne, denn alles beherrschend war das riesige, am Opernhaus prangende Frauenporträt, neben dem die Handlung des ersten Akts beginnt. Eine Video-Leinwand sorgte später für hintersinnige Kommentare.

Natürlich war diese Tosca - Raffaella Angeletti sang sie von Anfang an frontal und fast schon zu harsch - eine Seele von Künstlerin, unentwegt barmend war sie mit sehr besorgtem Tragödinnen-Gesichtsausdruck in Norbert Ziermanns Bühnenbild unterwegs. Elia Fabbians Polizeichef Scarpia, der Finsterling mit der finstersten Stimme, trug amtlich schwarze Herrenmenschen-Schaftstiefel, und die Mädchen im Kinderchor hatten niedliche Zöpfe. Cavaradossi, dem Jesus Garcia optisch und stimmlich gut gewachsen war, schaufelte tenoralen Schmalz in jeden Auftritt; einige der von ihren Partien überforderten Nebenfiguren hätten am Premierenabend jedoch lieber nicht in ein offenes Mikrofon singen sollen.

Aber diese "Tosca" Open Air, ist das so schlimm wie eine provinzielle "Aida" außereuropäischer C-Ensembles auf Durchreise oder ein angestaubter "Nabucco" Open Air? Ein, zwei Opern-Hits zum gefälligen Mitschunkeln, der Rest ist dann Rumsitzen bis zum Pausen-Prosecco oder zum Schlussapplaus?

Um diese Regie-Falle machte Kiels Generalintendant Daniel Karasek hier einen Bogen. Er erzählte die Geschichte naturalistisch und geradlinig, der Drall ins Überzeichnende hielt sich in Grenzen. Das war sehr solides, gekonntes Handwerk, kein Geschnörkel, kein Ausverkauf auf Butterfahrt-Niveau, weil ja Sommerpause ist und man Fünfe gerade sein lässt deswegen.

Die drei Bravour-Auftritte - Scarpias "Tre sbirri, una carrozza", Toscas "Vissi d'arte" und natürlich Cavaradossis "E lucevan le stelle" fügten sich harmonisch ins Geschehen ein, um Applaus bettelten sie nicht. Damit auch das Publikum in den hinteren, oberen Reihen sich nicht über die weite Entfernung zur Handlung grämte, spendierte Karasek einige spektakuläre Spezialeffekte. Und auch für den finalen Sturz Toscas fand die Regie eine Lösung, die Platz ließ für eine Portion bittersüßer Opernpoesie. Finales Seufzen in den vorderen Reihen, womöglich das eine oder andere Tränchen, das ins Taschentuch des Begleiters rollte, Riesenbeifall für alles und jeden.

Einige Stunden lang war Kiel Rom, schon das war alle Mühen wert.

Weitere Termine: 21.-26.8., jeweils 20 Uhr. Karten (31,90-72,60 Euro) unter T. 0431/901901 und www.theater-kiel.de