Der Hamburger Cenk Bekdemir liest aus seinem Buch “Ziemlich weit hergeholt“, in dem er vom deutsch-türkischen Verhältnis erzählt.

Hamburg. "Sagen Sie mal, Herr Öztürk, wollen Sie eigentlich irgendwann wieder zurück?", fragt eine Frau, als sie ihren Nachbarn in einem Hamburger Supermarkt trifft. Und jener antwortet: "Zurück? Ach nein, wissen Sie, Dithmarschen is ja schon hübsch, aber ich hab ja auch meinen Job hier."

Unter den vielen pointierten Anekdoten, die Cenk Bekdemir in seinem Kurzgeschichtenband "Ziemlich weit hergeholt" zusammengefügt hat, ist die Episode "Beim Einkaufen" wohl eine der markantesten. Denn im Buch (und auch im Leben) des Hamburgers geht es um die leisen Zwischentöne, die erklingen, wenn Menschen aufeinandertreffen. Und um Erwartungen, wenn sie dem vermeintlich Fremden begegnen.

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Als gebürtiger Schleswig-Holsteiner mit deutscher Mutter und türkischem Vater erlebt der Autor oft eine Art Feintuning der Vorurteile. Während sein Vater noch mit der vollen Breitseite der Stereotype konfrontiert wurde, als er 1963 nach Deutschland kam, erlebt der Sohn heute, dass die Unterschiede vielleicht kleiner, aber nicht unerheblicher geworden sind. Da wäre etwa der schmale Grat zwischen Freundlichkeit und Akzeptanz. Die Small-Talk-Frage, ob eine Person mit viel zitiertem Migrationshintergrund "irgendwann wieder zurück" will, mag zwar "irgendwie nett" gemeint sein. Sie missachtet aber die Tatsache, dass "zurück" für die zweite Einwanderergeneration eben nicht unbedingt die Türkei bedeutet (sondern Dithmarschen). Ebenso wenig will ein eher dunkel aussehender Typ, wenn er Zutaten für ein "altes Familienrezept" besorgt, zwingend Baklava backen (sondern Käsekuchen).

Bekdemir nimmt all die alltäglichen Unsäglichkeiten mal nachdenklich, meist aber mit viel Humor hin. Er ist ein entspannter Typ. Das drückt sich vor allem in seiner dunklen Stimme aus, mit der er angenehm entschleunigt spricht. Er ist einer, dem man gern zuhört. Gewiss auch, wenn der 41-Jährige an diesen Sonnabend mit seiner Bremer Schriftsteller-Kollegin Betty Kolodzy im Restaurant Dilara in Eimsbüttel liest. Erfahrungen auf Lesebühnen hat er reichlich gesammelt. Unter anderem vor 15 Jahren bei der apart-trashigen Liv-Ullmann-Show auf St. Pauli, wohin Bekdemir bereits mit 17 Jahren vom Elternhaus in Lurup gezogen ist.

In Hamburg ist der Mann mit dem Dreitagebart aber auch jenseits literarischer Kreise bekannt. Beim Gespräch im Karoviertel ist er ein ums andere Mal mit Grüßen beschäftigt. Szenegänger dürften ihn noch aus den 90ern kennen, als er im Molotow auf dem Kiez jobbte und - wegen seiner damals wuchtigen Koteletten - als Elvis-Double in einer Band sang. Genussfreunde könnten mit Bekdemir als Leiter von Rindchen's Weinkontor in Eppendorf zu tun haben. Auch aus dem Fachhandel hat der Autor Anekdoten auf Lager. Beispielsweise darüber, dass ihm aufgrund seiner türkischen Wurzeln nicht immer die gleiche Expertise zugetraut wird wie seinen (voll)deutschen Kollegen.

In die Klischees, die nach wie vor in den Köpfen zementiert scheinen, zieht er mit seinen Texten feine Risse. Das Schöne an seinem Debüt, das der Eppendorfer Verlag Abera veröffentlicht hat, ist aber die Bandbreite der Themen. Bekdemir seziert nicht ausschließlich das deutsch-türkische Verhältnis vom Kanak-Slang bis zur Ämter-Odyssee.

Von kindlicher Abenteuerlust zeugen etwa die Storys, in denen er sich an Reisen in die Türkei erinnert, an frisch gefangenen Tintenfisch und riskante Autokorsos auf der Transitstrecke gen Süden. Das atmet viel Neugierde und Sommerferienfreiheit. Zur Recherche hatte er sich mit seiner Mutter alte Fotos aus den 70ern angesehen. Schnappschüsse mit den Geschwistern auf der Straße und am Strand.

Auch Homophobie im Fußballverein ("ein sehr emotionales, kauziges Ambiente") oder Baby-Gespräche aus väterlicher Sicht (der Autor schreibt aus eigener Anschauung) behandelt er. Gegen Ende des locker lesbaren Buches driften seine Geschichten ins Fantastische. Da findet sich der Leser mitten in einer atomar verseuchten Endzeitwelt wieder, in der sich die Eltern absurderweise immer noch darüber aufregen, dass die Kinder "ungesunde" Hotdogs zum Mittag hatten. Wenige Seiten später trifft der Weihnachtsmann den Teufel. Ziemlich weit hergeholt eben.

Allen Texten ist gemein, dass sie ein gutes Gespür für Dialoge aufweisen und häufig einen unerwarteten Dreh in sich bergen. Diese dem Leben abgeschauten Episoden verfasst er in einer Mischung aus Impuls (wenn ihn eine Idee überkommt) und Disziplin (nachdem er die Tochter zur Schule gebracht hat, bevor er den Laden öffnet). Und auf Reisen.

Das Land seines Vaters, die Türkei, hat Bekdemir zuletzt vor zwei Jahren besucht. Da fuhr er allein mit dem Auto die Westküste hoch bis nach Istanbul. "Was seit meiner Kindheit geblieben ist, ist der Duft, die Wärme, dieses leicht Piniendurchtränkte", sagt der Autor. Neu aufgefallen sind ihm hingegen die vielen Baustellen, das Wachstum, das auch mit sich bringt, dass die kleinen idyllischen Fischerdörfer, die er als Junge kennengelernt hat, "monströse Ausmaße" angenommen haben.

Bekdemirs deutsch-türkische Doppelseele wird übrigens weiter durchmischt und herausgefordert. Denn er ist mit einer Französin verheiratet. In Europa rückt halt doch immer näher, was einst ziemlich weit hergeholt schien.

Lesung Cenk Bekdemir und Betty Kolodzy "Dichter im Stadtraum", im Rahmen des Hamburger Architektur-Sommers, Sa 18.8., 17.00, Restaurant Dilara (U Christuskirche), Weidenstieg 24, Eintritt frei, www.restaurant-dilara.de ; Lesung Cenk Bekdemir Di 11.9., 20.00, Café Mathilde (Bus 4, 5), Bogenstr. 5, Eintritt 5,-, www.mathilde-hh.de