Die neuen Romane “Vielen Dank für das Leben“ von Sibylle Berg und “Nullzeit“ Juli Zeh überzeugen nicht ganz. Lesungen in Hamburg.

Hamburg. Die Schriftstellerin Sibylle Berg hat schon viel über sich lesen müssen. Zum Beispiel, dass sie die "Hasspredigerin der Singlegesellschaft" sei. Und ein "moralinsaures Monster". Berg, 1962 in Weimar geboren, ist eine böse, schwarzmalerische Autorin, deren Romane immer vom Scheitern handeln und dabei oft brillant sind - wie ihr Debüt "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" (erschienen 1997). Sibylle Bergs neuer Roman "Vielen Dank für das Leben" ist eine ganz und gar düstere Angelegenheit. Das gilt genauso für das ebenfalls neue Buch von Juli Zeh, denn auch "Nullzeit" kann einen den Glauben an das Gute im Menschen nehmen. Juli Zeh und Sibylle Berg sind die vielleicht gnadenlosesten Erzählerinnen dieser Literatursaison.

Attribute wie "gnadenlos" oder "unbarmherzig" muss man sich erarbeiten, und gerade Berg, die (Gleiches gilt auch für Zeh) vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin mit hohem Bekanntheitsgrad, geht in ihrem Werk in die Vollen. Sie erzählt die Geschichte eines Hermaphroditen, der als ewiger Außenseiter durchs Leben geht und auf seinem Weg so gut wie nichts erlebt, was das Leben irgendwie lebenswert macht. Ganz im Gegenteil: Geboren wird Toto, der zunächst ein "Er" und dann, ab Seite 244, eine "Sie" ist, in der DDR als Kind einer liebesunfähigen Alkoholikerin.

+++ Hamburger Domina: Dieses Buch ist ein Klaps +++

Er/sie wächst in einem Kinderheim auf, kommt in den Westen, lebt in einer Hafenstadt (mutmaßlich Hamburg), später in Paris. Glückserfahrungen macht Toto als Sänger/Sängerin: Dann steht er/sie in irgendwelchen Spelunken als weiches, hässliches Wesen auf der Bühne, dessen falsettartiger Gesang anrührend ist. Vielleicht war Antony Hegarty, der New Yorker Sänger, das Vorbild für die Figur der/des Toto: Ein Mensch, der sich durch seine unklare Geschlechtlichkeit allen Definitionen entzieht. Toto ist eine Art Jesus-Figur und steht für das absolut Gute, das trotz der Anfeindungen und Angriffe der vollendet bösen Welt nicht aufhört, gut zu sein.

In diesem Sinne ist Toto ein Fabelwesen, das den Hass seiner Mitmenschen auf sich zieht: "Sie mochten nicht, was sie nicht einordnen konnten." "Vielen Dank für das Leben" ist ein gottverlassenes Buch: hart, zynisch, krass - und manchmal in seiner Depression auch todlustig. Die Realität wird in Bergs zehntem Prosawerk zum Kaleidoskop der sozialen Kälte. In seiner Komposition ist es leider misslungen: Als Leser verspürt man spätestens dann einen Bruch, wenn der verkniffene und psychotische Gegenspieler Totos, die alte Waisenheim-Bekanntschaft Kasimir, seine Intrige gegen Toto spinnt.

Während Bergs Roman eine Parabel über Gut und Böse ist, mutet "Nullzeit" wie ein Kammerspiel mit Thrillerelementen an. Die verkommene westliche Gesellschaft ist diesmal auf das böse Deutschland reduziert, vor dem der Jurist Sven Reißaus genommen hat. Er betreibt auf einer Atlantikinsel eine Tauchschule und macht dann den Fehler, in seinem Idyll ein schwer gestörtes Borderline-Pärchen aus Berlin zu unterrichten. Die Seifenoper-Darstellerin Jola und der erfolglose Schriftsteller Theo ziehen ein unangenehm aufdringliches Beziehungstheater ab und den arglosen Sven in ein Drama mit hinein, das durchaus sprachmächtig ist: Erzählt wird die Handlung in zwei Formen. Sven selbst verfasst eine Art Bericht, Jola dagegen ein Tagebuch.

Die beiden Perspektiven werden gegeneinander geschnitten und widersprechen sich konsequent. Diese Konstruktion setzt das Gerüst des Romans unter Spannung. Leider ist die Auflösung am Ende ziemlich missraten; überhaupt zählt "Nullzeit" zu den schwächeren Arbeiten Zehs und reicht an "Adler und Engel" oder "Spieltrieb" bei Weitem nicht heran.

Entschädigt wird der Leser dafür halbwegs durch Sätze von gewisser Schönheit, die die abgeklärte Jola und der unbedingt kaputte Sven wie (Über-)Lebensprofis abspulen: "Aber Erniedrigung ist ein schwieriges Geschäft" zum Beispiel, oder "Man sollte doch meinen, Erklärungen seien unser wohlverdienter Lohn dafür, dass wir das Vergehen der Zeit ertragen". Man lernt viel über das Tauchen in diesem Buch, aber nicht, wie man den Kopf über Wasser hält: Wir leben in einer Welt voller Niedertracht.

Sibylle Berg: "Vielen Dank für das Leben". Hanser, 400 S., 21,90 Euro; Lesung am 14.10. auf Kampnagel.

Juli Zeh: "Nullzeit". Schöffling, 256 S., 19,95; Lesung beim Harbourfront-Festival am 19.9. im Uebel & Gefährlich.