Zeitgenössische Figuren und Bilder von Martin Städeli und Oliver Flössel erstmals in Norddeutschland ausgestellt

Kunsthaus Stade. Es ist eine ebenso spannungsreiche wie überraschende Begegnung, die die Besucher des Kunsthauses Stade in diesen Tagen erwartet. Expressive, großformatige Gemälde in kräftigen, leuchtenden und manchmal gar schreienden Farben treffen auf lebensgroße Plastiken aus Pappmaschee, die fragil, verletzlich, oft aber auch ein wenig unheimlich und bedrohlich erscheinen. Seit das Kunsthaus Stade 2006 eine Ausstellung mit Arbeiten von Jonathan Meese und Daniel Richter gezeigt hat, steht die in einem historischen Kaufmannshaus im historischen Zentrum der Hansestadt untergebrachte Ausstellungshalle zu Recht in dem Ruf, immer mal wieder spannenden Positionen der Gegenwartskunst ein Forum zu bieten.

Diesmal sind es zwei in Berlin lebende Künstler, die nie zuvor in Norddeutschland zu sehen waren und deren Werke auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten und Beziehungen aufzuweisen scheinen. Zunächst die Bilder von Oliver Flössel, der 1977 in Bad Kreuznach geboren wurde und in Offenbach studierte, bevor er nach Berlin ging, wo er von der Galerie Schwarz Contemporary vertreten wird. Dazu kommen die Plastiken des 1962 in Basel geborenen Martin Städeli, der nach seiner Ausbildung in Zürich und Berlin seit Langem in der deutschen Hauptstadt lebt und bis heute ohne Galeristen auskommt.

Pink, Schwarz und Gelb sind die vorherrschenden Farben in Flössels expressiven Kompositionen, die zunächst abstrakt erscheinen, doch den Betrachter immer wieder dazu verführen, Gegenständliches zu entdecken, auch wenn das vom Maler wohl gar nicht beabsichtigt ist. Oliver Flössels Bilder sind nicht still, sondern heftig, man spürt diesen expressiven Farbausbrüchen den Gestus des Malens ab, dem Umgang nicht nur mit Öl und Acryl, sondern auch mit Eddingstift und Sprayfarben, die nicht zufällig an Elemente der Streetart erinnern. Dabei sind diese Bilder nicht rauschhaft schnell entstanden, sondern Resultat eines langen, etappenhaften und immer wieder fortgesetzten Schaffensprozesses. In einer Videosequenz, die Oliver Flössel mit Selbstauslöser aufgenommen hat, kann der Besucher seine langwierige und komplizierte Arbeit im Atelier ganz unmittelbar nachvollziehen.

Und dieser lange, offene und schwer zu bestimmende Schaffensprozess, dessen Ende nicht klar definiert ist, sondern vom Künstler einfach postuliert wird, ist auch für die merkwürdigen Bildwerke charakteristisch, die Martin Städeli aus Papier, alten Zeitungsbögen, Pappmaschee und Holzstücken über längere Zeiträume zusammenfügt. Seine fragilen Plastiken entfalten eine enorme Präsenz. Sie stehen vielfach auf hölzernen Postamenten, die aus geometrischen Formen zusammengesetzt sind und beinahe an die Kompositionen russischer Konstruktivisten wie El Lissitzky oder Alexander Rodtschenko erinnern.

Aber wen oder was stellen sie eigentlich dar? Ein Kunsthistoriker hat einmal vermutet, es handele sich in gewisser Weise um Selbstporträts. Doch wahrscheinlich wäre das eine viel zu starke Festlegung, denn die Figuren bilden ein ganz eigenes Panoptikum. Lebens- oder gar überlebensgroße Wesen treten uns hier entgegen, die meistens, aber nicht immer anthropomorph erscheinen. Die mal bedrohlich, manchmal aber auch recht verletzlich wirken. Wir sehen aber auch tierähnliche Wesen, deren Form schwer bestimmbar erscheint und mitunter an Kleckerburgen erinnert, die sich Kinder am Ostseestrand bauen.

Konstruiert und geformt sind sie aus Papier und Pappschichten, deren ursprüngliche Funktion nicht kaschiert wird. So mutieren Papprollen zu Gliedmaßen und mitunter lässt sich an den Artikeln auf den zu Körperteilen geformten Zeitungsseiten der jeweilige Entstehungszeitraum erahnen.

Martin Städelis Figuren sind eindringlich, rätselhaft und lassen sich kaum mit anderen Kunstwerken vergleichen. Wer sie im Dialog mit Oliver Flössels farbintensiven Gemälden in Stade erlebt hat, wird sie so schnell nicht vergessen.

Martin Städeli/Oliver Flössel: Zeitgenössische Figuren und Bilder. Kunsthaus Stade, Wasser West 7, bis 2.9., Di, Do, Fr 10.00-17.00, Mi 10.00-19.00, Sa/So 10.00-18.00, Eintritt 5;-, Kinder und Jugendliche frei; www.museen-stade.de