Das Konzert von Tocotronic zum Finale des Dockville-Festivals war ein beglückendes Erlebnis

Hamburg. Wenn Dirk von Lowtzow mit gereckter Faust auf die Bühne läuft, dann ist überdeutlich: Hier spielt einer aufs Schönste mit den Gesten des Machismo, statt Klischees zu bedienen. Denn von Lowtzow trägt nicht nur ein dünnes, gepunktetes Hemd, das schon fast als Bluse durchgehen könnte. Er singt auch vorzugsweise von Verzärtelung, von Zweifeln und Ruin.

Dass derlei Themen keineswegs spaßbefreit verhandelt werden müssen, bewies der Sänger und Gitarrist mit seiner Rockband Tocotronic (erneut) am Sonntagabend beim Abschlusskonzert des Dockville-Festivals in Wilhelmsburg. Und dort, südlich der Elbe, mit dem Blick Richtung Hamburg, hätte der Frontmann wahrlich Grund gehabt, die Faust unironisch zu recken. Denn auch wenn dem Quartett stumpf anbiedernder Lokalpatriotismus fernliegt, so war sein Auftritt doch ein Heimspiel. Ein besonders beglückendes zudem.

"Hallo Dockville, hallo Hamburg", ruft von Lowtzow der Menge entgegen, die von der Abendsonne warm geflutet wird. Das Gitarren-Schlurfen, das dann einsetzt, erkennen die Fans sofort. "Freiburg", der erste Song der ersten Tocotronic-Platte aus dem Jahr 1995. Viele singen aus vollem Hals mit. Diese große Hass- und Abnabelungshymne, beim Dockville wird sie lieblich aufgelöst mit Konfetti, Seifenblasen, Viva-con-Agua-Flaggen und den durchfeierten, glücklichen Gesichtern nach drei Tagen Festival.

"Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein", singt der ergraute von Lowtzow. Das Konträre, bei Tocotronic ist es stets nur ein, zwei Takte entfernt. Wie Jan Müller am Bass, Rick McPhail an der Gitarre und Arne Zank am Schlagzeug trägt der 41-Jährige einen herausgewachsenen Pilzkopf. Und das Publikum feiert seine Fab Four gut anderthalb Stunden lang für ihr fulminantes Best-of-Set, auch wenn die Band in einem ihrer Klassiker fordert: "Kein Schulterklopfen". Das Artwork aus fast 20 Jahren tocotronischer Geschichte begleitet, auf die Bühnenrückwand projiziert, Hit auf Hit wie "Sie wollen uns erzählen", "Aber hier leben, nein danke", "Let There Be Rock", als Zugaben noch "Im Zweifel für den Zweifel", "Pure Vernunft darf niemals siegen", "Sag alles ab". Titel als Lebensleitlinien.

Und von Lowtzow präsentiert seine Verse nicht nur mit zunehmend eindringlicher Stimme. Er erweist sich auch als höflicher und pointierter Ansager. Vor allem, als das Tanzteam der Kinderferienfreizeit Lüttville unter lautem Jubel seine Choreografie zum Song "Kapitulation" präsentiert. "Bitte singt alle mit für diese kleinen Menschen", fordert er.

Und als die Teenager - leider etwas versteckt - die resignativen Zeilen mit Gesten untermalen, macht die Menge bald mit, spreizt die Hände, klatscht und schwenkt die Arme.

Tocotronic war zwar nie eine Animationskapelle. Aber, wie heißt es so hübsch in ihrem eigenen Lied: "Die Stars in der Manege / sie kapitulieren."

Infos zur Band im Internet: www.tocotronic.de