Eddie Palmieri machte mit seiner großen Band auf Kampnagel vor allem die Tänzer glücklich

Hamburg. Zwei Herzen schlugen, ach, im Saal K 2 von Kampnagel. Vor der Bühne pochte und wogte das Herz der Salsatänzer und all derer, die es heute vielleicht noch werden würden. Sie hatten den Raum schon mit einer gewissen Eigentümerschaft in ihrem federnd-graziösen Gang betreten, entschlossen, die Musik vor allem mit den Füßen zu hören. In den hoch aufragenden Stuhlreihen hinterm Mischpult schlug ein paar Takte gemächlicher das Herz all jener, die nicht ans Tanzen dachten, die lieber nur hören oder es einfach bequem haben wollten.

Schließlich ist Eddie Palmieri, 75, der Salsa-Großmeister aus Spanish Harlem in New York, ein Abenteurergeist vom Schlage eines Hermeto Pascoal, verspielt, wild, experimentell. Neben seiner großen Kapelle unterhält er kleinere Formationen, mit denen er Jazz und Jazzverwandtes spielt. Man kann nie wissen bei ihm, in welche Richtung das Pendel seiner musikalischen Laune ausschlägt. So erschien es salomonisch, das Gastspiel von Eddie Palmieri & His Salsa Orchestra am Sonntag im Rahmen des Sommerfestivals auf Kampnagel aus beiden Perspektiven zu erleben, erst aus der Distanz des Hörers und dann aus der Nähe des Mittänzers.

Doch selbst hoch oben in der K 2 erwies es sich rasch als außerordentlich schwierig, der Kraftentfaltung der Grooves seiner drei Percussionisten äußerlich unbewegt standzuhalten. Vor allem schien es ziemlich sinnlos; stiftet es denn Erkenntnisgewinn, eine Musik, die derart auf Bewegung abzielt, sitzend zu genießen? Diese Frage wurde im Lauf der ersten halben Stunde individuell beantwortet. Manche anfänglich eher bewegungsscheue Beobachter in den Stuhlreihen gaben ihren sicheren Posten auf und wagten sich in einem feinen, aber kontinuierlichen Abwärtsstrom unters Fußvolk.

Das war auch deshalb schlau, weil das Tutti-Gebrodel der zwölfköpfigen Band oben allzu laut und undifferenziert ankam. So raffiniert Eddie Palmieri seine Spielart einer von afrokaribischen Rhythmen grundierten und mit messerscharfen, synkopischen Bläserriffs gewürzten Tanzmusik in 50 Jahren auf der Bühne auch entwickelt hat - mit dynamischen Feinheiten halten er und seine Mitstreiter sich im Konzert nur ausnahmsweise auf. Die beiden Trompeter überboten sich in Druck- und Hitzeerzeugung, die beiden Posaunisten standen ihnen kaum nach. Die Tres, dies kleine, von den alten Herrschaften des Buena Vista Social Club bei uns tanzsalonfähig gemachte akustische Saiteninstrument, dengelte so mächtig wie eine E-Gitarre. Nelson Gonzalez spielte sie allerdings auch mit einer rhythmischen Verve, die an Neil Youngs Krawallband Crazy Horse denken ließ. Die Kuhglocke, aus der Orlando Vega die Claves schlug - die für die lateinamerikanische Musik typische zweitaktige rhythmische Struktur, die für eine wundervolle Gleichzeitigkeit von Drive und Verlangsamung sorgt -, klang wie aus dem Bauch einer Maschine. Und Palmieri selbst behandelte sein Keyboard auch nicht zimperlich.

Doch nach 40 Minuten, gerade erst war aus dem breiten Rechteck vor der Bühne ein Energiefeld aus Bewegung und Selbstvergessenheit geworden, betätigte sich Palmieri als "Party Pooper" in eigener Sache. Nun gefiel es ihm, die Tänzer stehen zu lassen und mit dem Kontrabassisten Luques Curtis ein längeres Duett zu improvisieren, in dem Curtis weite Strecken mit dem Bogen strich, darunter auch Passagen aus dem Präludium von Bachs G-Dur-Cellosuite.

Unversehens drohte aus der ausgelassenen Party ein richtiges Konzert zu werden, schien Palmieri daran erinnern zu wollen, dass er sich für bloße Ruhmverwaltung entschieden zu jung fühlt und als Streiter für Unberechenbarkeit noch ein paar Pfeile mehr im Köcher hat. Wer bis jetzt sitzen geblieben war, konnte sich bestätigt fühlen.

Kurz. Denn nach zehn Minuten schwenkte das Salsa Orchestra auf die Hauptstraße des Körpervergnügens zurück, um sie bis zum zugabenlosen Rest des anderthalbstündigen Abends nicht mehr zu verlassen. Herman Olivera gab als Leadsänger einen Geschmack davon, wie Instant-Poetry auf Spanisch klingt: Sprache ohne jede Rap-Allüre, die doch fast alles auf rhythmische Kürzel bringt, sodass auch die Stimme zum reduziert melodischen Perkussionsinstrument wird. Das entfaltete zusammen mit der intensiven Energie der Bandmitglieder untereinander noch einen ganz eigenen Sog.

Viele Salsa-Tänzer sahen am Ende so glücklich aus wie nach der Liebe. Bestimmt nicht nur, weil Palmieri sie gelobt hatte für ihre tänzerische Fantasie.