CD 1
1. Tomte - Ich sang die ganze Zeit von dir
Thees Uhlmann, Meister des lang gezogenen Vokals und der intimen Bühnenbekenntnisse sowie zu einem Drittel Chef des Hamburger Labels Grand Hotel van Cleef (GHvC), spendet Trost, indem er Leidenschaft predigt. Ein luftiger Gitarrenpopsong mit massenkompatibler Mitgrölzeile: "Ich war ein guter Junge, heute mache ich mich schick."
2. Kettcar: Deiche
An einen versonnenen Blick aufs Wattenmeer hat Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch nicht gedacht, als er "Deiche" geschrieben hat. Der Song mit dem schnellen Beat und den harschen Gitarren vermittelt eher das Gefühl von Unbehagen mit Zeilen wie "Der Kuchen ist verteilt, die Krümel werden knapp / Deiche brechen richtig - oder eben nicht".
Der Hamburg-Sound
3. Fettes Brot - Soll das alles sein
Die Pinneberger Jungs schnacken auch mal nachdenklich. Ein Text über alleinerziehende Menschen, die wegen Geldsorgen gleich zwei Jobs annehmen müssen und so keine Zeit mehr für ihre direkte Umwelt haben. Ernstes Thema - gut eingefangen mit der bluesigen Gitarre und den trockenen Beats.
4. Kante - Ich habs gesehen
Definitiv Hamburgs Band mit den meisten Ecken und Kanten. Hier grummeln die Gitarren verzweifelter, die Arrangements sind geschliffener als bei vielen Kollegen der Hamburger Schule. In "Ich habs gesehen" singt Peter Thiessen von der Stadt in Aufruhr, Trümmern, Hitze und Wind. Kurz, den aufregenden, dunklen Stunden im urbanen Dschungel. Toll.
5. Tocotronic - Sie wollen uns erzählen
Sobald das spröde Mundharmonika-Stakkato einsetzt, kann man das Trio vorm geistigen Auge trotzig in Trainingsjacken über Hamburgs Straßen schlurfen sehen. Im Jahr 1997 protestierte die Band dagegen, sich vom eifrig schaffenden Bürgertum vereinnahmen zu lassen. Ein Song von nostalgischer Schönheit.
6. Olli Schulz und der Hund Marie - Jetzt gerade bist du gut
Olli hat es weit gebracht. Einst Stagehelfer und Roadie hat er 2003 selbst die Bühne erklommen und das Mikro an sich gerissen. Gemeinsam mit Hund Marie - kein treuer Vierbeiner, sondern der viel beschäftigte Gitarrist Max Schröder - singt er versponnene Lieder aus der Mitte des Lebens. Auf dem Hamburg-Sampler findet er "Jetzt gerade bist du gut".
7. Dirk Darmstaedter - My Girl in Paris
Ach, wie schön sind solch kleine Geschichten. Klampfe raus, und Dirk erzählt uns seine Bekanntschaft mit einer gebeutelten Dame in Paris. Wenn Darmstaedter im Refrain Worte wie "Yes, I Know You're All Mixed Up / But I've Come Round to Cheer You Up" rausdrückt und der Klang kurz orchestral wird, um danach wieder in sanftes Picking zu münden, ist klar, dass er sicherlich einer der besten deutschen Songwriter ist.
8. Rocko Schamoni - Mauern
Ein Lied, das den Schlager ad absurdum führt. Szene-Dandy und Pudel-Klub-Betreiber Schamoni singt zu seichtem Synthesizer-Sound und mit ironischem Schmelz in der Stimme über das Recht aufs Alleinsein. Seine Hymne ist ein Appell, sich weniger auf die Nerven zu gehen: "Wir müssen uns zu mauern trauen."
9. Madsen - Die Perfektion
Madsens Song ist ein unglaublich treibender Druck-Rock-Hit mit den brennendsten Gitarren seit Jahren in der deutschen Rockmusik, und er erinnert fast an At the Drive-In. Der Gesang wirkt nie peinlich und knallt einfach perfekt - mit Wucht und Melodie.
10. Spillsbury - Zwei von vielen
Pulsierende Synthesizer, mädchenhafter Annette-Humpe-Gesang, und zwischendurch blitzt hier und da auch die alte Punkvergangenheit aus "One Thirty"-Zeiten auf. Spillsbury heißt übersetzt "Versagen", doch der moderat renovierte 80er-Pop des Hamburger Duos Zoe Meißner und Tobias Asche ist gelungen, schwerelos und schön. Auch auf "Zwei von vielen".
11. Bernd Begemann - Oh, St. Pauli . . .
Der "Gottvater der Hamburger Schule" erklärt St. Pauli die Liebe, als wäre sie eine wunderschöne Frau, der man sofort verfällt, die es aber nicht immer gut mit einem meint. Dann singt Begemann in dem bereits zehn Jahre alten Lied: "Oh, St. Pauli, du elendes Miststück".
12. Marr - Express And Take Shape
Hamburger Band mit dem wohl am wenigsten hanseatischen Sound. Auch wenn einige Mitglieder aus dem Tomte-Umfeld stammen. Ungeschliffen fräsen sich die Gitarren durchs Unterholz . Seit 2003 liefern Marr - benannt nach einer Leipziger Künstlerin - schicken Indie-Punk ab. Ihr Beitrag "Express And Take Shape" ist ein wunderbar melodiöser Rock-Kracher.
13. Niels Frevert - Wann kommst Du vorbei
Auch die bestfrisierten Jungs sehen dämlich aus, wenn sie im Regen stehen und auf ihre Freundin warten. Und für genau diese Typen könnte Niels Frevert "Wann kommst Du vorbei" geschrieben haben, ein Song wie Hamburger Niesel, unverfroren verfroren. Wahrscheinlich kommt sie eh nicht, aber so ist das eben.
14. Nationalgalerie - Evelin
Und noch mal Niels Frevert, allerdings noch mit seiner ehemaligen Band Nationalgalerie und dem großen Hit von 1993, "Evelin". Obwohl die Single sich damals verkaufte wie geschnitten Brot und der dazugehörige Clip das Musik-Fernsehen eine Weile dominierte, wollte es mit dem großen Durchbruch nicht klappen. Zwei Jahre später löste sich die Nationalgalerie auf.
15. Superpunk - Neue Zähne für meinen Bruder und mich
Gesellschaftskritik zum Tanzen: Verpackt in einen mitreißenden Soul-Kracher erzählt Sänger Carsten Friedrichs die aberwitzige Geschichte von einem Bruderpaar, das einen Geschäftsmann entführt, um Geld für ein schönes Gebiss zu erpressen. Sein genial-schlichtes Fazit: "Ich habe keinen Hass auf die Reichen, ich möchte ihnen nur ein bisschen gleichen."
16. Olesoul - Hamburg & Cologne
Etwas schnulzige Ballade mit der Zeile "Denn mein Herz ging mir verloren irgendwo zwischen Hamburg und Cologne". Na, wo liegt es denn jetzt? In Münster? Oder doch in Osnabrück?
17. Echt - Weinst Du
Die Band um Sänger Kim Frank ist vielleicht die verkannteste der 90er-Jahre. Als Teenie-Act verschrien, blieben viele ihrer Pop-Perlen für das ältere Publikum unentdeckt. Im Jahr 1999, mit 17, sang Frank vom Ende einer Liebe, von Tränen und Regen - so gefühlvoll und erschöpft, als habe er Jahrzehnte an Erfahrung.
18. Selig - Ohne Dich
Eines der abgrundtief traurigsten Lieder über die Zeit nach einer Trennung. Jan Plewka singt mit solcher Verzweiflung in der Stimme, dass selbst dem glücklichsten Menschen ein Kloß im Hals wachsen muss. Eine Ballade für alle Liebeskranken, denen zur Linderung eine Poesie bleibt, die ihr Schicksal trifft - mitten ins Herz.
19. Revolverheld - Freunde bleiben
Jeder hasst diesen Satz - Revolverheld sprechen drastisch das aus, was jeder nach einem "Lass uns doch Freunde bleiben" empfindet. Vergiss es! No Way! Eine Hymne für Verlassene, bei denen noch die Wut vor der Enttäuschung regiert. Rock im dramatisch bockigen Balladengewand.
20. Jonathan Walter - Es ist warm
Ooch, ist der süß! Sänger, Songwriter und Gitarrist Jonathan Walter ist gerade mal knapp 20 Jahre alt und hätte im Mai mit "Es ist warm", einer kleinen Surfpop-Perle, fast einen Sommerhit gelandet. Ganz gereicht hat es nicht, vielleicht lag es daran, dass Walter den Song im Herbst geschrieben hat?
CD 2
1. Pohlmann - Wenn jetzt Sommer wär
Mit diesem Song trifft Ingo Pohlmann den Nerv des Sommers, mit lockerer Akustik-Gitarre, chilligem Refrain und dem bezeichnenden Wunsch in der Zeile "Nachts auf der Straße Jack Johnson singen". So ist der Song, leicht und unbeschwert, wie für die Schanze geschrieben. Aber warum der Konjunktiv?Es ist Sommer!
2. Fernlicht - Ein Leben ohne mich
Noch ein Trennungslied, diesmal mit wuchtigem Intro, rhythmischen Gitarren, Bläsern. Fernlicht wandeln mit ihrem Northern Soul auf den Spuren von Dexy's Midnight Runners
3. Leilanautik - Traumsommer
Die Top-Plätze der Hamburg- LIVE-CD drehen sich um den Sommer, und Leilanautik schreiben den Song für den Beachclub. Sanfte Streicher treffen auf Pop-Beats. An der Elbe, wo man von der Sonne gebraten wird und wo selbst der Mond einen noch mit seinen Strahlen verwöhnt, lässt es sich aushalten.
4. Fotos - Komm zurück
Kann man Verzweiflung besser ausdrücken als Tom Hessler, 22 Jahre alter Sänger der Fotos das in diesem Lied stakkatoartig herausschreit. "Ich denk an dich, immer wieder". Rocknummer mit Ohrwurmqualitäten und ein Anwärter auf den Song des Jahres.
5. Außenborder - Hamburger Berg
Nach Bahrenfeld fährt man im Bus, und auf dem Hamburger Berg wird gefeiert. Aber nur von den Einheimischen: Das Bier ist günstig, der Eintritt in die Tanzlokale kost' nix. Außenborders Hit versprüht die gute Laune, die nach dem Zechen im Lucky Star (Mexikaner) auf der Tanzfläche des Roschinskys entsteht. Harmonisch und keck - jeder kann mitsingen.
6. Nice Boy Music - This Is Disco
Mit "This Is Disco" beschwören Nice Boy Music mit verstimmten 60er-Gitarren und wummerndem Glambass die goldenen Zeiten unter der Silberkugel wieder herauf. Ihr tanzbar aufbereiteter Krautrock-Wave kommt gut. Kaum zu glauben, dass auch dieses Hamburger Quartett von Tomte- und Kettcar-Produzent Sven Meyer entdeckt wurde.
7. Die Regierung - Professioneller Fan
Warum der Nuschelsänger und Physiker Tilman Rossmy behauptet, er habe noch keinen Hit gehabt, ist unverständlich. Seine Band Die Regierung hat einen alle Zeit tollen Song vorgelegt, der auf knapp drei Minuten genial viel verdichtet: Frau sucht Mann, Musiker trifft Fan, und die Nacht begegnet der Einsamkeit. Ein Hit!
8. 14tägig Anders - Diese Vier
"Was haben Hamburg und Magdeburg gemeinsam? Einen Fluss und eine Band" sagen "Diese Vier" von 14tägig Anders über sich. Ihr Lied "Diese Vier" gibt dann auch gleich die Richtung des Stroms vor: Vorwärts mit Kraft, mit Dynamik - mit Stromgitarren. Tokio Hotel zog übrigens auch von Magdeburg nach Hamburg . . . egal.
9. Catharina Boutari - Nimm mich nicht mit
Auch hier scheitert eine Verbindung zweier Menschen, in die Hoffnung gesetzt wurde. Dabei schwor sich Catharina Boutari doch "Ich sollte glücklich sein/ Ich wollte niemals traurig werden". Vergebens. Sie zieht mit gespitzten Lippen die Endsilben in manchen Zeilen auseinander und erzeugt damit ein bitteres, fast zynisches Flehen.
10. Jan Gazarra - Now
Mit dem Klirren im Whiskeyglas beginnt "Now". Und auch der Sound von Jan Gazarra erinnert an Namensvetter Ben aus vielen wunderbaren Cassavetes-Filmen, wie er von chronischer Melancholie befallen durch Nachtklubs strauchelt. Tatsächlich fabriziert der gebürtige Stuttgarter einen beseelten, dezent kalifornisierten Country-Rock.
11. Fink - Eismann
"Eismann" von der Hamburger Frickel-Folk-Legende Fink ist eine poetische Betrachtung des Sommers im Hitzedelirium. Mit Minimal-Beat und Sprechgesang werden abgedrehte Metaphern über den Eismann herausgeschwitzt. "Es ist heiß!"
12. Corona - Neue Farben
"Wir wollen die Welt nicht verbessern, sie höchstens ein bisschen schöner machen" ist die Pop-Philosophie von Corona: vier Jungs plus Sängerin. Ihr leichter und lockerer Deutschpop macht die Welt in der Tat schöner, hat aber nichts mit Heile-Welt-Gedudel zu tun, sondern "nur" mit Spaß an Musik und Melodie.
13. Heft!g - Es geht um Sehnsucht
Rrrrocken, abtrocknen, Bier trinken, Bus fahren, rrrocken . . . das ist seit einer Weile das Leben von Heft!g, on the road sein, allein oder als Support von zum Beispiel Silbermond. Das ist die Schule des Musiker-Lebens, und die Jungs haben ihre Lektion gelernt und es auf den Sampler geschafft. Und das, obwohl sie eigentlich aus Lübeck kommen! Erzählen Sie es keinem weiter!
14. Kajak - Wir brauchen uns fast immer
Wenn Matthias Rothaug alias Kajak nicht gerade in der "Mutter" Szene-Volk bewirtet, macht er Musik, die Hirn und Herz bewegt. Er tritt den Beweis an, dass intelligente Texte catchy klingen können. Zum munter dahintreibenden Gitarrensound denkt er nach über Nähe und Distanz, Selbst- und Fremdbild. Mehr davon!
15. Clickclickdecker - Wer hat mir auf die Schuhe gekotzt?
"Lass mal gut sein mit dem Wechselgeld" - man kann es sich vorstellen, wie Kevin Hamann alias Clickclickdecker nach einer zu langen Kieztour im Taxi nach Hause fährt (besser im Taxi weinen, als im HVV-Bus, oder nicht?). Vom Alkohol betäubt, im Suff alle verloren und am Ende allein, und dann hat ihm auch noch jemand auf die Schuhe gekotzt. Einfach herrliche Großstadtalltagsgeschichten mit Gitarre.
16. Finn X + Variables
Musik wie eine nachts erblühende Blume ohne Zeitraffer. Eine so langsame wie schöne und wunderbar intensive Songperle mit sphärischen Computersounds und Finns berührenden Gesang.
17. Mon)tag - Ich du er sie es
Böse Zungen meinen, Mon)tag klingen wie Udo Jürgens. Okay, Liedzeilen, wie "Du bist mein Sonnenschein, Uhh" aus "Ich du er sie es" tragen dazu bei. Dazu das ganze dicke Streicherpathos. Letztlich handeln die meisten Rocksongs von den Aggregatzuständen der Liebe. Und am Ende meistert das Trio den Grenzgang, ohne im Schlagerschleim auszurutschen.
18. Sport - Schönen Gruß, die Satelliten
Space-Rock von Sport, der Band von Kante-Keyboarder Felix Müller. Im Weltall ist auch nicht nur eitel Sonnenschein. Der Song nimmt die Perspektive eines Satelliten ein, der beklagt: "Wir hatten uns das anders vorgestellt." Wirklich ein Sch . . . leben ohne Schlaf, der schnellen Folge von Tag und Nacht und Amerika zieht auch schon zum siebten Mal vorbei.
19. Besser - Für euch
Besser machen da weiter, wo Blumfeld vor vielen Jahren aufgehört haben. Mit totaler Wucht und kühler Lakonie. Eigentlich stammt die Band aus Lüneburg, aber ihr Sound ist so urban, dass er selbst nach New York passen würde.
20. Richard - Lieben tun
Die super-duper Elektro-Orgel und die liebe Drum-Machine angeschmissen und ab dafür. Richard von der Schulenburg verzehrt sich in absurd lustiger Schlagersprache nach jemandem. Schunkel- oder tanzbar. So könnte er als Keyboard-Alleinunterhalter auf unheimlichen Goldhochzeiten auftreten oder der Allergrößte augenzwinkernde Star der Welt werden.
21. Feinkost - Werd sie verlassen
Die Gitarren und die Scrachtes zu Beginn machen gleich klar, worum es hier geht: souliger Funk-Rock. Heraushörbare Vorbilder sind eindeutig Maroon 5. Herauszuhörendes Problem mal wieder eine Frau. Herauszuhören ist ebenfalls, wie beeindruckend versiert die Musiker an ihren Instrumenten sind.
22. Home Of The Lame - The Camper (pt. 2)
Was ist bloß los mit Schweden? Felix Gebhardt kommt ursprünglich aus Deutschland, ist vor ein paar Jahren mit seiner schwedischen Freundin in ihre Heimat gezogen und macht jetzt im GHvC Lager so melodiösen Lagerfeuer-Songwriter-Schweden-Pop, als wäre sein Herz dort geboren. Ein wunderbarer Song über einen Camper, der überall und nirgends zu Hause ist.
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