Bis vor Kurzem war Scherer in Washington. Jetzt ist er wieder in Hamburg. Ein Gespräch über das Ankommen und den “Wahnsinn Amerika“

Hamburg. Das Gesicht ist einem sofort vertraut. Fünf Jahre war Klaus Scherer als Korrespondent der ARD in Washington, vor wenigen Tagen erst ist er nach Hamburg zurückgekehrt. Unterwegs zu sein - seine Familie kennt es gar nicht anders: Die beiden älteren Kinder sind in Japan geboren, wo Scherer von 1999 bis 2004 das ARD-Studio leitete, seine jüngste Tochter kam in Washington zur Welt. Wir haben mit ihm über die Schwierigkeiten des Rückkehrens gesprochen, über den "Wahnsinn Amerika", wie er sein neues Buch (Piper, 18,99 Euro) genannt hat - und ihn natürlich auch gefragt, ob Barack Obama noch eine Chance hat bei der Präsidentenwahl im November, die Klaus Scherer nun von hier aus verfolgt.

Hamburger Abendblatt: Warum wird ein Washington-Korrespondent jetzt zurück nach Hamburg gerufen - ein halbes Jahr vor der Wahl in den USA?

Klaus Scherer: Wir haben im NDR die Regel, nach fünf Jahren zu wechseln.

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Und die hätte man nicht großzügig auslegen und ein halbes Jahr dranhängen können ...?

Scherer: Wir haben die Regeln seit Jahren. Ich hätte umgekehrt auch Wert darauf gelegt, dass ich die Wahl nicht verpasse. Man hat ja als Neuer auch die Chance, sich so ein bisschen bekannt zu machen. Das half mir damals auch.

Sie waren fünf Jahre in Tokio, jetzt fünf Jahre in Washington, wie leicht fällt einem da das Zurückkehren?

Scherer: Das werden wir sehen. Ich vermeide es zurückzukommen und genau das Gleiche wie vorher zu machen. Das ist ja, als wäre nichts dazwischen gewesen. Als hätte Ihnen einer die Zeit aus dem Kalender geklaut und Sie wachen an derselben Stelle auf und reiben sich die Augen wie das Murmeltier. Deshalb bin ich auch zuversichtlich, wenn wir nicht nach Ottensen zurückkehren, wo wir vorher gewohnt haben, sondern draußen in Rissen wohnen, wo die Schiffe tuten. Wir haben neue Nachbarn, die Kinder gehen in neue Schulen, es fängt etwas ganz Neues an, es geht nach vorne. Trotzdem bin ich weiter beim NDR in Lokstedt, bin dort im gleichen Haus. Das ist natürlich schon ein bisschen komisch, auch wenn ich mich auf viele Kollegen freue. Aber ich kenne das ja schon. Als ich aus Japan kam, bin ich auch nicht sofort tagtäglich in die Kantine gegangen. Da habe ich mich ein bisschen weggeduckt.

Was fiel Ihnen besonders schwer?

Scherer: Naja, ich war zuvor in Nordkorea, ich war auf den Philippinen, es gab dort Hungertote und Armut - und hier diskutierte man die Rechtschreibreform. Das hab ich nicht hingekriegt. Das konnte ich nicht so ernst nehmen, wie manche es ernst genommen haben. Heute ärgert mich die Rechtschreibreform auch.

Wie schnell geht das, wirklich wieder anzukommen?

Scherer: Nach Japan haben mir Kollegen gesagt: Gib dir ein Jahr. Das kam ganz gut hin. Man kann ja auch nicht jeden Satz anfangen mit "In Japan ist es so, dass ..." oder "Als wir in Amerika waren ...", das will ja keiner hören. Allerdings, je länger ich unterwegs bin, desto mehr wächst auch mein Wunsch, mich mal zu verorten.

Was ist jetzt Ihre Aufgabe beim NDR?

Scherer: Ich bin Reise- und Sonderreporter. Das heißt, ich werde überwiegend Dokus und Abenteuerreportagen für die ARD machen.

Klingt nicht nach einem, der im Büro versauern wird ...

Scherer: Nicht alle versauern da. Aber Sie haben Recht. Mit dem Polarkreis hab ich zum Beispiel noch 'ne Rechnung offen, den habe ich erst zur Hälfte bereist. In Amerika sind wir am Ende für einen Zweiteiler 8000 Meilen gereist.

Wenn man Ihr Buch liest, hat man den Eindruck, dass Amerika nicht gerade Ihr Traumziel war. Haben Sie das Land lieben gelernt in den fünf Jahren oder blieb es eine distanzierte Beziehung?

Scherer: Ich muss distanziert sein als Korrespondent. Aber ich muss auch wohlwollend sein. Aus diesem Widerspruch heraus zu vermitteln, empfand ich als meine Aufgabe. Ich bin weder Amerika-Hasser noch Amerika-Fan. Ich wollte aber auch nie das Klischee bedienen, dass ein Journalist an seinem Ziel ist, auf dem Olymp, sobald er in Washington ist. Ich hatte so eine tolle Zeit in Japan, die wollte ich nicht entwerten.

Was hat Sie in Amerika beeindruckt, womit Sie so nicht gerechnet hatten?

Scherer: Die Alltagsherzlichkeit der Leute, die man hier oft als oberflächlich abtut. Kann sein. Mir kam es trotzdem sehr entgegen. Sie haben ein süßes Kind, ich mag Ihren Mantel, einfach so ein netter Satz. Ich hab das hier gleich mal ausprobiert, hab zu einem Passanten gesagt: Hallo, schönes Wetter heute! Und der hat sich gefreut. Ich weiß noch nicht, ob ich das beibehalte. Ich will ja auch nicht zum Hanswurst werden, der nicht aufhören kann zu grüßen.

In den USA jagt eine vermeintlich oder potenziell wichtige Nachricht die nächste. Hecheln Sie als Berichterstatter dort zwangsläufig auch ein Stück weit den Spin-Doktoren hinterher?

Scherer: Der Nachrichtentakt ist schon enorm schnell. Das ist durch das Internet und durch die polarisierenden Medien in den USA noch dichter geworden. Aber auch durch den Unfug, den keiner mehr stoppt. Stellen Sie sich vor, jemand würde hier jeden Tag behaupten, Frau Merkel sei gar keine Deutsche, sie wolle außerdem die Monarchie einführen und sei insgeheim Buddhistin. Das würde in deutschen Redaktionsstuben in die Papierkörbe wandern. In den USA wird es gesendet, alles, andauernd. Da wird, vor allem bei den rechten "Fox-News", auch nicht unterschieden zwischen Fakten, Gerüchten und Meinung. Die werfen Obama die absurdesten Dinge vor, schon weil er als Präsident keine großen Fehler gemacht hat, die müssen sich halt was ausdenken, um Angst zu schüren. Aber weil Zuschauer es gewohnt sind, dass etwas, das veröffentlicht wurde, eine Art Relevanzhürde genommen hat, wird es plötzlich zum Thema. Und man fragt sich unwillkürlich: Ist das die neue Medienwelt? Kriegen wir das auch?

Verändert das schon jetzt Ihre Arbeit?

Scherer: Natürlich. Man nimmt oft Kleinigkeiten zu wichtig. Wir haben alle auch die Tea-Party zu wichtig genommen. In der Bevölkerung hatte sie nie so viel Rückhalt, auch Sarah Palin nicht. Aber sie war auf allen Kanälen. Außerdem haben Sie im Internet, aber auch in den sogenannten Nachrichtenkanälen, zu allem den passenden Verschwörungstheoretiker. Wir würden hier kaum jemanden in eine Talkshow einladen, von dem man vorher weiß, dass er lügt. Da sind die Qualitätsstandards noch andere, ich bin hoffnungsvoll, dass das so bleibt.

Sie haben heftige Kritik an den Republikanern und an Mitt Romney geübt. Glauben Sie, dass Obama noch einmal die Wahl gewinnen kann?

Scherer: Wir haben sehr viel Geschrei gesehen und gehört, viel Haudrauf auf den Präsidenten. Wenn sich aber der Pulverdampf verzogen hat, werden die meisten sehen: Hey, das war doch ein recht geradliniger Präsident und er hat einiges erreicht. Romney hat bisher einfach keine Antworten. Das ist zu wenig. Wird Obama gewinnen? Ich halte es für wahrscheinlicher als andersherum.

Haben Sie selbst eigentlich während Ihrer Zeit in Japan und in den USA immer brav in Deutschland gewählt?

Scherer: Nee. Einmal hatten wir Briefwahlunterlagen angefordert, waren aber zu spät. Danach war uns das alles zu weit weg. Da waren wir wohl schlechte Demokraten.