Die britische Soul-Sängerin Lianne La Havas gilt als neue Adele. Jetzt ist ihr Debütalbum “Is Your Love Big Enough?“ erschienen.

Ihr erstes Keyboard bekam sie mit sieben von ihrem Vater geschenkt. "Darauf habe ich gespielt, bis ich 14 war. Obwohl es eigentlich viel zu klein war", sagt Lianne La Havas und lacht. Das junge Mädchen aus London mit den zu einem Dutt zusammengesteckten krausen Haaren und dem umwerfenden Charme ist Englands neue Soul-Hoffnung. Eine Sängerin, die keine Drogen nimmt wie Amy Winehouse, die mit einem älteren Mann liiert ist und die man sich auch in einer Küche beim Gemüseputzen vorstellen kann. Was nicht bedeutet, dass ihr auf der Bühne Glamour fehlen würde. Lianne La Havas besitzt eine natürliche Ausstrahlung, im Gespräch ist sie offen und neugierig, die Last der Verpflichtungen, denen sie gerade nachgehen muss, spürt sie offenbar noch nicht. Sie ist das "nächste große Ding" in Großbritannien in Sachen schwarzer Musik; Fernsehshows und Musikmagazine reißen sich um sie.

Es scheint, als sei ihr Debütalbum "Is Your Love Big Enough?" gerade zum richtigen Zeitpunkt erschienen. Denn Soul mit dem Gütesiegel "Made in Great Britain" ist gerade wieder sehr im Kommen. Winehouse war die Erste, Adele und Duffy folgten und haben mit diesem in den USA geborenen Genre den Mainstream erobert, nun kommen mit Michael Kiwanuka und Lianne La Havas zwei dunkelhäutige Künstler in die Szene. Während Kiwanuka aus Afrika stammt, hat La Havas eine jamaikanische Mutter und einen griechischen Vater. In ihrem Fall erwies sich der Vater als Förderer ihrer Begabung. Denn er war es auch, der ihr vor vier Jahren eine Gitarre schenkte und ihr die ersten Griffe beibrachte. "Unterricht habe ich nie bekommen. Ich habe geübt, bis meine Finger blutig waren, und mir das Spielen selber beigebracht", erzählt sie. Gesangsunterricht hatte sie natürlich auch nicht. Lianne La Havas kann sich auch in diesem Fall auf ihre natürliche Begabung verlassen.

Ihr Debütalbum hat sie allerdings nicht im Alleingang fertiggestellt. Hilfe bei der Produktion und auch beim Songschreiben erhielt sie von Matt Hales. Das ist ein englischer Sänger, der unter dem Namen Aqualung drei bemerkenswert schöne Pop-Alben herausgebracht hat. Drei Jahre lang haben die beiden an dem Album gebastelt, Tausende von Flugkilometern hat La Havas in dieser Zeit zurückgelegt, denn kurz nachdem die gemeinsame Arbeit begonnen hatte, siedelte Hales mit seiner Familie nach Los Angeles über. Sein neuer Schützling pendelte daraufhin zwischen London und der kalifornischen Küste, und auch in New York gab es eine Session, in deren Verlauf drei Songs des Albums entstanden sind. Unter anderem das jazzige "Au Cinema", in dem die 22 Jahre alte Sängerin die Brooklyn Bridge erwähnt: "Die Zeit dort war sehr inspirierend. Ich hatte davor eine Phase, in der das Schreiben nicht so gut lief. In New York ging dann wieder alles wie von selbst."

Der Titel des Albums deutet es schon an, die meisten Songs handeln von der Liebe. "Liebe ist doch das Wichtigste auf der Welt. Es ist ein Thema, aus dem du so viel herausholen kannst", sagt La Havas mit funkelnden dunklen Augen. Viele der Songs sind autobiografisch wie "Age" über die Beziehung zu einem älteren Mann oder ebenjenes "Au Cinema", in dem sie auch ihren Lieblingsfilm "Betty Blue" erwähnt, in dem es um eine obsessive Liebe zwischen einem Paar in Paris geht. Die meisten Songs sind sanfte Balladen mit einer akustischen Gitarre als tragendem Instrument. Lianne La Havas Stimme hat einen samtenen Glanz, doch sie kann sich auch in die Höhe schrauben wie im Titelsong "Is Your Love Big Enough?". Die Stimme der Newcomerin ist erstaunlich variabel und hilft ihr Stimmungen auszuloten. Durch die Gitarre bekommen einige Nummern eine Nähe zum Folk, ähnlich wie bei Kiwanuka, der ebenfalls eine Klampfe als Hauptinstrument benutzt.

Die meisten Songs auf diesem Debüt jedoch sind Soul- und Jazzlieder, beeinflusst von ihren Idolen wie Sarah Vaughan, Erykah Badu und Lauryn Hill. Ihre Mutter hörte zu Hause viele dieser Künstlerinnen, und die hinterließen bei der kleinen Lianne einen nachhaltigen Eindruck. So wollte sie auch singen können. Bei Auftritten mit dem Schulchor litt sie noch enorm unter Lampenfieber. Als sie dann als Teenager durch Londoner Pubs und von einem Open-Mic-Wettbewerb zum anderen tingelte, legte sich die Nervosität. Wenn Lianne La Havas jetzt auf einer Bühne steht, strahlt sie enormes Selbstbewusstsein aus, wie man vor ein paar Wochen bei einem Showcase im Gruenspan erleben konnte. Am 3. Dezember ist sie wieder im Gruenspan zu Gast, diesmal mit voller Band. "Aber ich mag es auch, ganz allein mit der Gitarre aufzutreten. Habe ich gerade im Vorprogramm von Bon Iver gemacht", sagt sie. Ohne Lampenfieber, dafür aber mit viel Leidenschaft.

Lianne La Havas: "Is Your Love Big Enough?" (Warner Music); www.liannelahavas.com