Der Sommerfestival-Leiter Matthias von Hartz hat festgestellt: Die Zuschauer kommen auch zu anspruchsvollen Abenden in das Theater.

Hamburg. Wenn Matthias von Hartz, der in diesem Sommer zum letzten Mal das Internationale Sommerfestival Hamburg verantwortet, von der Elbe an die Spree wechselt, um dort künftig das Tanz- und Theaterfestival der Berliner Festspiele zu leiten, verliert Hamburg nicht nur einen profilierten Festivalmacher, sondern auch einen klugen Querkopf. Einen, der sich einmischt in die Debatten der Stadt - und zur Not mit dafür sorgt, dass diese Debatten über kulturpolitische Themen oder Stadtentwicklung überhaupt stattfinden. Am Donnerstagabend eröffnet das Sommerfestival auf Kampnagel - unter anderem mit einer Tanzproduktion des französischen Künstlers Boris Charmatz, Theater aus Budapest mit Árpád Schilling, der nicht nur auf zahlreichen Festivals vertreten ist, sondern auch an der Berliner Schaubühne und am Wiener Burgtheater inszeniert, und mit einer Hafenkonzertrundfahrt zum Thema Wachstumsgrenzen, dem diesjährigen politischen Schwerpunkt des Festivals.

Hamburger Abendblatt: In ein paar Tagen startet auf Kampnagel das letzte von Ihnen kuratierte Sommerfestival. Welches Gefühl überwiegt? Wehmut? Zum Abschied vielleicht Übermut?

Matthias von Hartz: Wehmut. Man läuft durchs Gelände, es wird aufgebaut, an jeder Ecke passiert irgendetwas. Kampnagel ist einfach ein toller Ort für ein Festival. Natürlich gibt es Städte, da ist die ganze Stadt das Festival, Avignon, Salzburg. Aber hier ist es der Garten, der Kanal, die großen Hallen. Es gibt nicht so viele Orte wie diesen. Außerdem ist es natürlich für mich persönlich ein besonderer Ort, auf Kampnagel habe ich vor 15 Jahren meine erste eigene Inszenierung gezeigt, beim Nachwuchsfestival Junge Hunde. Aber 15 Jahre - das ist dann auch ein guter Grund, jetzt mal woanders hinzugehen.

+++ Sommerfestival auf Kampnagel zeigt Projekte zum Wachstum +++

Unter Ihrer Leitung hat das Sommerfestival ein klares politisches Profil gewonnen. Warum setzen eigentlich so wenig Festivalmacher darauf?

Von Hartz: Es kam mir zwischenzeitlich auch schon vor wie ein skurriles Hobby. Ein Festival kommt ja auch ohne aus. Ich fand es aber immer langweilig, einfach nur die gute Kunst zu zeigen. Und ich bilde mir ein, dass das eine Ausstrahlung hat, das hat schon angefangen bei der Reihe "go create resistance", die ich damals am Schauspielhaus kuratiert habe. So ein auch gesellschaftspolitisches Programm wirkt in die Stadt hinein, wie es allein mit Kunst nicht möglich wäre. Es geht um ein Klima, das man auch abseits der Kulturinstitutionen spürt. Das Gartendeck auf St. Pauli, das wir im letzten Jahr initiiert haben, ist vielleicht ein schönes Beispiel: Das wird vermutlich auch noch lange da sein, wenn ich die Stadt längst verlassen habe.

So ein politischer Schwerpunkt hat ja unweigerlich auch etwas Didaktisches. Lässt sich das Hamburger Publikum gern etwas sagen?

Von Hartz: Vielleicht sagt mir das einfach keiner, wenn er darauf keinen Bock hat! (lacht) Nein, es wird tatsächlich sehr gut angenommen. Wenn sich 200 Leute bei 30 Grad abends um sieben in einen Vortrag setzen - da gibt es offenbar genug, die sich für so etwas interessieren ... Meine Erfahrung ist sowieso, dass sich das Hamburger Publikum für fast alles interessieren lässt. Die Hamburger sind von Anfang an auch zu anspruchvollen Abenden gekommen. Letztes Jahr beispielsweise war die Produktion von Boris Charmatz, den hier kaum einer kannte, rasend schnell ausverkauft.

Offenbar vertraut das Publikum der Marke "Sommerfestival". Kann man dem Publikum also fast alles zutrauen?

Von Hartz: Das sage ich ja schon immer! Man kann den Leuten alles zutrauen, wenn man selbst dahintersteht. Ich habe schon immer Produktionen eingeladen, die ich interessant finde - um dann das Publikum dafür zu kriegen. Nicht andersherum. Auch deshalb habe ich versucht, das Festival zu öffnen, raus aus Barmbek, raus aus dem Theater, hinein in die Stadt. Natürlich programmiere ich auch nicht das sprödeste Stück an den Festivalanfang, das wäre ja auch dämlich. Und natürlich gibt es weiterhin Leute, deren einziges Interesse repräsentative Kunst ist. Die kaufen eine Karte für ein Gastspiel vom Burgtheater, ohne zu wissen, welches Stück da eigentlich kommt. Auch am Burgtheater gibt es aber gute und schlechte Sachen. Da lohnt es sich schon, ein bisschen genauer hinzuschauen, das kann jeder.

+++ Highlights des Internationalen Sommerfestivals +++

"Die Grenzen des Wachstums" ist in diesem Jahr das Thema, nicht das erste Mal geht es im politischen Schwerpunkt also um Kapitalismuskritik. Sind die Positionen da nicht erwartbar? Und treffen auf Zuschauer, die sich die Bestätigung ihrer eigenen Ansichten abholen?

Von Hartz: Wenn man zynisch sein wollte, könnte man sagen: Da hat einem die Realität in die Hände gespielt. Was noch 2002 eine linksradikale Position war, ist heute Mainstream. Woran noch vor zehn Jahren keiner geglaubt hat, das steht heute in jeder Zeitung. Es geht ja auch um Visionen, darum, wie es ohne Wachstum überhaupt gehen könnte, es geht um gesellschaftliche Fantasien. Da ist der Bekehrungsfaktor natürlich schwer einzuschätzen. Aber das, was wir machen, ist ja auch Kunst - und nicht Kirche.

Wenn Wachstumsgrenzen das Thema sind, was heißt das für die Besucherzahlen, die Sie ja immer weiter steigern konnten? Gibt es noch Potenzial?

Von Hartz: Klar, immer. Bei allem internationalen Anspruch gilt doch die Botschaft: Fürchtet euch nicht. Es gibt immer sehr zugängliches Programm. Das wunderbar poetische "Kiss & Cry" zum Beispiel ist eigentlich eine Art "Fabelhafte Welt der Amélie" für die Bühne. Man kann auch völlig ohne Vorkenntnisse zu Boris Charmatz, da muss man nichts verstehen, um einen guten Abend zu haben. Bei dem ungarischen Theaterstück von Árpád Schilling muss man weder Ahnung von Ungarn noch von internationalem Theater haben. Und die beiden Produktionen zu Griechenland - einmal von Rimini Protokoll und einmal vom Hamburger Schwabinggrad Ballett - erzählen Geschichten, die nicht in den Nachrichten vorkommen. Darum geht es eben auch: Wie macht man Themen greifbar?

Wenn man Sie früher gefragt hat, worüber man in Hamburg so redet, haben Sie verzweifelt gerufen: Über nichts! Das hat sich geändert nach den kulturpolitischen Aufbrüchen, der Gängeviertel-Initiative, der präsenten Diskussion um die Mitbestimmung von Bürgern. Wenn Sie jetzt nach Berlin gehen - was nehmen Sie aus Hamburg mit?

Von Hartz: Ehrlich gesagt: So wahnsinnig viel bewegt sich ja mittlerweile wieder nicht mehr in Hamburg. Diese Euphorie, die nach der Gängeviertel-Besetzung hier herrschte, die ist wieder etwas verebbt. Der SPD-Senat fällt nicht gerade durch besonders linke Politik auf, die Opposition ist entweder nicht vorhanden oder versucht Themensetzung durch Namensänderung. In Berlin war die Situation bislang einfacher. Dort kommt man erst jetzt in die Situation, in der Hamburg immer war, dass nämlich bestimmte Räume nicht mehr billig zu nutzen oder schlicht gar nicht mehr da sind. Hamburg war nie so pleite wie Berlin, aber das Argument war hier trotzdem immer das gleiche. Was ich aus Hamburg mitnehme, ist vielleicht trotzdem dies: Es ist möglich, etwas durchzusetzen. Es lohnt sich, das zu versuchen.

Wird es in Berlin einfacher sein, ein Festival zu kuratieren - oder nur anders?

Von Hartz: Berlin ist einfach eine internationale Stadt, dadurch fehlt auch diese Selbstreferenzialität, die in Hamburg schon extrem ist. Vielleicht geht einem irgendwann das ganze Wir-sind-so-international-Gehabe auf den Geist, aber erst einmal schafft es einen anderen, interessanten Resonanzraum. Der offizielle Wahlbrief in Hamburg war überschrieben mit "Mehr Stimmen für die schönste Stadt", das hat doch etwas Verzweifeltes, das immer so zu betonen! Als sei man ein Dorf im Allgäu, dem halt nix anderes übrig bleibt. Dazu kommt: Kunst und vor allem Künstler spielen in Berlin eine ganz andere Rolle. Ja, okay, ich find's in Hamburg schöner. Ich gebe zu: Es. Ist. Hier. Schöner. Aber das kann auch nicht das einzige Kriterium sein.