Von “FAZ“ bis “Bild“: Fast alle Medien gehen respektvoll mit dem Privatleben von Altkanzler Schmidt um. Ruth Loah zuvor kaum bekannt.

Bis gestern war Ruth Loah kein Thema in den Suchmaschinen, am Freitagnachmittag findet Google stolze 162 000 Treffer für die neue Lebensgefährtin des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der kürzlich in einer Forsa-Umfrage zum "größten lebenden Vorbild der Deutschen" gekürt wurde, im Alter von 93 Jahren. In Hamburg schaffte es das späte Glück der beiden auf sämtliche Titelseiten der Tageszeitungen (auch auf die erste Seite des Abendblatts) - das neue Paar verdrängt olympisches Gold, Euro-Krise und Syrien-Konflikt auf hintere Plätze.

Das Privatleben von Schmidt ist keinesfalls Futter allein für die Boulevardblätter, sondern beschäftigt die überregionalen Zeitungen "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und "Süddeutsche Zeitung" ebenso wie "Spiegel Online" und die User von Facebook und Twitter. Einzig die "taz" begnügt sich mit einer versteckten Meldung plus Mini-Foto. Geht uns nichts an, lautet die Botschaft.

+++ Ruth Loah: Die neue Frau an der Seite von Helmut Schmidt +++

Im Mittelpunkt der Berichterstattung steht natürlich die neue Frau an der Seite des Altkanzlers - zumal der Name bis dato selbst Politik-Insidern kein Begriff war. Wer ist sie? Wie haben sie sich kennengelernt? Und vor allem: Wie ähnlich ist sie Loki Schmidt, der vor knapp zwei Jahren verstorbenen Ehefrau des Altkanzlers? "Focus.de" überschreibt mit der angeblichen Ähnlichkeit beider Frauen ("Doppelgängerin") sogar den Artikel: "Ruth Loah sieht Loki zum Verwechseln ähnlich." Es ist als Kompliment gemeint. Dazu gibt es eine Geschichte über "Liebe im zweiten Wahlgang": Helmut Schmidt, erfährt man, ist nicht der einzige Politiker, der seine zweite Frau bei der Arbeit kennengelernt hat; es gehört im politischen Betrieb scheinbar zum guten Ton. Helmut Kohl und Franz Müntefering werden angeführt, Willy Brandt und Oskar Lafontaine.

Und wie sieht es mit der Art der Verbreitung aus? Meldungen zum Beziehungsstatus schickt man schließlich nicht schnöde über Agentur in die Welt, sie werden präzise geplant, in wohlüberlegte Worte gebettet. Medium und Formulierung bestimmen dabei den Ton. Helmut Schmidt gab am Donnerstag der Wochenzeitung "Zeit", deren Herausgeber er ist und die bislang nicht unter Verdacht stand, eine Schwester im Geiste der Illustrierten "Bunte" zu sein, eines seiner regelmäßigen Interviews zur Lage der Nation. Auf die Frage von Chefredakteur Giovanni di Lorenzo "Gibt es außer Loki einen Menschen, an den Sie beinahe täglich denken?" antwortet Schmidt: "Beinahe täglich denke ich an meine Freundin Ruth Loah." Auf Nachfrage, ob diese seine neue Lebensgefährtin sei, antwortet Schmidt in der für ihn typischen Prägnanz: "Ja." - Eine Antwort, die bei jedem anderen barsch klingen würde. "Das betont beiläufige Bekenntnis zur neuen Lebensgefährtin", jubelte "Welt Online".

Das Geheimnis der Exklusivmeldung besteht in der Kombination Altkanzler plus "Zeit". Wo Liebesgeflüster sonst als Klatsch abgetan wird, ist das schmidtsche Privatleben schon fast eine bundesdeutsche Angelegenheit, die "Zeit" fungiert nicht als Botschafter des Gossips, sondern als Zeitzeuge.

In einem betont sachlich gehaltenen Artikel ("Helmut Schmidt hat eine neue Partnerin") rollt die "FAZ" die wenig bekannte Biografie Ruth Loahs auf; mehr Häme streut die "SZ" über die Bekanntmachung der neuen Liebe - schon allein durch die Tatsache, dass das "späte Glück" nicht in der Politik oder prominent auf der Panoramaseite verhandelt wird, sondern in der "Stilkritik" genannten Rubrik, die regelmäßig wohlformulierten Spott über Prinzessinnen, Fußballer und Arztgattinnen schüttet. "Darf er eine Frau seine Gefährtin nennen, die noch nicht mal im Telefonbuch steht, die er aber angeblich seit 57 Jahren kennt?", fragt der Kolumnist mit beißender Ironie.

Ausgesprochen freundlich sind die Kommentare zu den jeweiligen Texten im Internet: "Viel Glück und Freude" schreiben viele User, oder ausführlicher wie etwa bei "Spiegel Online": "Im Alter ohne Partner zu sein, das ist bestimmt sehr schwierig. Dann muss man dankbar sein, jemanden gefunden zu haben, der hilft, diese Einsamkeit zu teilen. Loki wird vom Himmel über die beiden wachen."

Auf Facebook dagegen lästerte eine Schreiberin: "Helmut Schmidt ist frisch verliebt. In Ruth Loah. 'Wir kennen uns seit 60 Jahren. Sie ist eine große Hilfe.' Leidenschaft pur."

Einen nachdenklichen Moment gönnte sich einzig der fleißige Briefeschreiber Franz Josef Wagner: "Helmut und Ruth. Da muss man erst mal durchschnaufen."

Bei all den gedruckten Glücksbekundungen darf das Fernsehen natürlich nicht ins Hintertreffen geraten: "Altkanzler Helmut Schmidt stellt sich am Dienstag den Fragen der ARD-Moderatorin Sandra Maischberger", verkündete das Erste am Freitag. Es soll um die Stabilität des Euro gehen, um die europäische Schuldenkrise. "Daneben soll Schmidt Auskunft darüber geben, wie es ihm derzeit persönlich geht." Man darf jetzt schon Wetten abschließen, wie die Gewichtung der Themen ausfallen wird. Es weiß schließlich jeder: Liebe schlägt Euro-Krise.