Mit einem düsteren Text über Sterbehilfe überzeugte der studierte Arzt die Jury. Weil er dem Leser nahetrat.

Klagenfurt/Hamburg. In jeder Hinsicht merkwürdige Wettbewerbsbeiträge hat es in der Geschichte des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs haufenweise gegeben. Unvergessen der Moment, in dem sich Rainald Goetz die Stirn blutig ritzte, in diesem Jahr verspeiste Philipp Weiss seinen Text. Niemals zuvor allerdings hat sich wohl in Klagenfurt ein Autor an das Tabu gewagt, das Jens Petersen der Jury präsentierte: Er las das letzte Kapitel seines Romanmanuskripts. Er verriet den (allerdings offenen) Schluss. Eine ungewöhnliche, aber fraglos richtige Entscheidung: Jens Petersen gewann.

Was man nach landläufiger Meinung so tut oder auch nicht, scheint dem großgewachsenen 32-Jährigen, der in Rellingen bei Hamburg aufgewachsen ist und bei so manchem Beobachter in Klagenfurt einen "sehr nordischen Eindruck" hinterließ, ohnehin erfrischend schnuppe zu sein. Er hat nicht Germanistik studiert oder Kreatives Schreiben in Leipzig, wie so viele der derzeit erfolgreichen Autoren seiner Generation. Er hat Medizin studiert, in Buenos Aires, Lima, New York, Florenz und München (vor allem Letzteres eine ungewöhnliche Wahl für ein gebürtiges Nordlicht). Geschrieben hat er immer, sein Debütroman "Die Haushälterin" erschien 2005 bei dva und wurde direkt mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Heute lebt Jens Petersen als Arzt in Zürich. Möglicherweise ist das der Grund, warum dem Schleswig-Holsteiner das Sterben nicht fremd ist. Er sehe in seiner Arbeit viel Schmerz, berichtete er. Und erzählte in seinem Wettbewerbsbeitrag "Bis dass der Tod ..." die Geschichte von Alex, der seine sterbenskranke Freundin zu Tode bringt, aber daran verzweifelt, dass er es nicht schafft, selbst aus dem Leben zu scheiden. Eine bewegende Erzählung, finster und symbolgesättigt, erzkalt geschrieben, untergründig glühend, eine Geschichte aus der postkatastrophalen Welt eines Cormac McCarthy. Dem Hörer (und Leser) zu nahezutreten, traute sich außer Petersen leider kaum ein Autor. Weshalb diesmal weniger die Wettbewerbsbeiträge, sondern vor allem die Rede des Büchnerpreisträgers Josef Winkler Aufsehen erregte.

Der gebürtige Kärntner hatte zur Eröffnung gesprochen. Hatte von einer Jugend in einer österreichischen Stadt erzählt, von Klagenfurt und von Ingeborg Bachmann. Und als man sich schon fragte, wohin er mit seiner Rede eigentlich wollte, war er über die Kärntner Politik im Allgemeinen und Jörg Haider im Besonderen hergefallen. Haider, den Winkler nie beim Namen nannte und der "sich mit seiner Asche aus dem Staub gemacht" habe, zieh er in Anwesenheit der Haider-Witwe mitsamt der Klagenfurter Politik der Verschwendungssucht und des Größenwahns. Am Ende hatte er zu so etwas wie zivilem Ungehorsam gegenüber den "Ausbeutern" aufgerufen. Der Beifall war lang, die Honoratioren inklusive der Witwe saßen da wie vor Jahrhunderten in Stein gemeißelt.

Wenn das so weiterginge, dachte man, könnte der im vergangenen Jahr beinahe zu Tode reformierte Wettbewerb endlich wieder da sein, wo er hingehörte. Literarisch auf hohem Niveau, gesellschaftlich relevant. Von einer Wut über den Zustand der Welt jedoch wurde man in den drei Tagen nach Winklers Rede weitgehend verschont.

Was nicht daran lag, dass die Welt nicht immer mal wieder anwesend gewesen wäre beim "Bewerb". Man begegnete prekären Beschäftigungsverhältnissen, fuhr in einem Flüchtlingscontainer mit, begegnete einem vermeintlichen Stasispitzel. Die 68er und auch die jüngste Krise aller Krisen irrlichterten irgendwo herum. Ein Mensch kam sich in den Weiten der Virtualität abhanden. Um die Beziehungen der Geschlechter war es erwartbar schlecht bestellt. Es ließ sich auch trefflich über das Für und Wider des realistischen Erzählens diskutieren. Richtig ärgern musste man sich selten (außer über die Moderatorin). Was auch daran lag, dass man, um sich über einen Text zu ärgern, von ihm wenigstens berührt werden muss.

Das gelang eigentlich nur Petersen und Gregor Sander, ihre Texte ragten aus dem Grau des literarischen Mittelmaßes heraus.

Und so gewann am Ende der, der am Vortag bloß im Mittelfeld gewesen war. Beim Fußballspiel der Autorenmannschaft hielt sich der schmale, lange Jens Petersen bescheiden hinten. Gewonnen allerdings hat er auch dieses Spiel.