Das Ernst-Barlach-Museum in Wedel zeigt aktuelle chinesische Kunst aus der Sammlung Alexander Ochs

Wedel. Das Trauma der Kulturrevolution, bei der es sich in Wahrheit um eine gigantische, ideologisch motivierte Kulturzerstörung handelte, wirkt bis heute nach. Doch um die Kreativität und Originalität der international so erfolgreichen chinesischen Gegenwartskunst zu verstehen, muss man auch um deren tiefe Verankerung in der kulturellen Tradition wissen. Chinesische Künstler, die in der Regel vorzüglich ausgebildet sind und die Kunstentwicklung des Westens sehr genau kennen, haben nicht nur Mao im Hinterkopf, sondern auch taoistische Traditionen und Denkmuster des Konfuzianismus.

"Based in China" heißt eine Ausstellung, die gegenwärtig im Ernst-Barlach-Museum in Wedel zu sehen ist und die mit einer konzentrierten Auswahl von etwa 120 Werken im besten Sinne Anschauungsunterricht über die erstaunliche Vielfalt von Positionen der chinesischen Gegenwartskunst bietet.

Neben der Verankerung in der Tradition zeigen die meisten der Arbeiten einen ebenso aneignenden wie respektlosen Blick gen Westen, sicher nichtzuletzt, um dort marktfähig zu sein. So zitiert der 1982 geborene und damit zur jüngsten Künstlergeneration gehörende Zhao Zhao in einem Gemälde das Readymade "Fontaine" von MarcelDuchamp, versieht es jedoch in fröhlich-ironischer Brechung mit Ananas und anderen Früchten. Und sein erst vor zwei Jahren entstandenes monumentales Bild "Thank you brother-in-law" zeigt in greller Pop-Art-Farbigkeit eine Bodybuilderin im Bikini, deren Ausdruck auf merkwürdige Weise unbestimmt und vieldeutig bleibt.

In vielen Werken kommt die Beziehung zwischen Individualität und Masse als ein Hauptthema der aktuellen chinesischen Kunst zum Ausdruck.Etwa in den Bronzeskulpturen "A man playing with balls" von Wang Shugang, der zu den wichtigsten zeitgenössischen Bildhauern Chinas zählt. Die Skulpturen zeigen Männer, die Qigongkugeln in den Händen halten und fast uniformiert erscheinen, bei genauerer Betrachtung jedoch jeweils einen ganz eigenen Gesichtsausdruck aufweisen. Einige von ihnen halten Zweige in den Händen, auf denen Vögel sitzen, die sich als Symbole von Ungebundenheit und Freiheit verstehen lassen.

Mehrdeutigkeit und Offenheit liegen einerseits in der chinesischen kulturellen Tradition begründet, gehören andererseits jedoch zu den Entstehungsbedingungen der aktuellen Kunst, deren Freiheit durchaus begrenzt ist. "Es gibt staatlich geförderte Kunst, die interessanterweise meistens nicht gegenständlich ist. Es gibt Kunst, die nicht verboten ist. Und es gibt solche, die die Partei als Angriff wertet und daher verbietet", erklärt Jürgen Doppelstein, Ernst-Barlach-Museum, der die Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit dem Berliner Galeristen und China-Experten Alexander Ochs konzipiert hat. Die Wedeler Schau zeigt zwar keine Werke von Dissidenten, wohl aber Positionen von Künstlern, die sich kritisch mit der Situation der chinesischen Gesellschaft auseinandersetzen. Eines dieser Werke ist das Gemälde "Erster Frühlingssommer von Jingzhe" der inzwischen in den USA lebenden Hung Liu. Es zeigt vier junge Arbeiterinnen, die nur auf den ersten Blick der Ästhetik des sozialistischen Realismus entlehnt zu sein scheinen. Sie halten sich die Ohren zu und erwehren sich voller Angst der Attacken merkwürdiger Heuschrecken - Symbol für die alltägliche Bedrohung der Persönlichkeit im Alltag der chinesischen Massengesellschaft.

"Based in China. Gegenwartskunst und Tradition" Ernst-Barlach-Museum Wedel, bis 29.3., Di-So 11.00-18.00 Uhr