“Konrad Adenauer - Stunden der Entscheidung“: In einem Dokudrama hat Arte die wechselvolle Karriere des ersten Bundeskanzlers verfilmt.

Welcher Regierungschef feiert schon seinen 85. Geburtstag im Amt? Und sogar den 86. und den 87.? Konrad Adenauer wurde erst mit 73 Jahren Bundeskanzler - ein Alter, in dem andere schon lange im verdienten Ruhestand sind und vor allem beim Enkelbesuch oder dem jährlichen Check-up beim Hausarzt Nerven verschleißen. Adenauer dagegen rang mit der Westintegration und der Souveränität der Bundesrepublik, mit dem Bau der Berliner Mauer, der deutsch-französischen Aussöhnung und der "Spiegel"-Affäre.

14 Jahre regierte er im Bonner Palais Schaumburg. Mit dem Schlachtruf "Der Alte muss weg" kommentierte der damalige "Spiegel"-Chefredakteur Adenauers Verzagtheit und sein Zögern, am Tag des Mauerbaus am 13. August 1961 nach Berlin zu reisen. "Er war der größte Politiker, dem ich je begegnet bin", wird er schreiben, als die Adenauer-Ära bereits Geschichte ist.

Adenauer führte ein Leben - öffentlich und privat - das jedes Fernsehformat zu sprengen droht. Und doch haben sich Regisseur Stefan Schneider und der Grimmepreis-gekrönte Autor Werner Biermann an ein Porträt des Altkanzlers herangewagt - das erste in Spielfilmform überhaupt. In einem Mix aus Spielszenen, Doku-Material und Interviews mit den Adenauer-Kindern Libet und Georg sowie dem ARD-Journalisten und Augstein-Biografen Peter Merseburger rücken sie dem Mann zu Leibe, der bei seinem Amtsantritt 1949 (gewählt mit nur einer Stimme Mehrheit - seiner eigenen) schon ein bewegtes Leben hinter sich hatte.

Seit 1917 war der studierte Jurist Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Köln. Als er sich in dieser Funktion 1933 weigerte, Reichskanzler Adolf Hitler zu empfangen, wurde er von den Nazis aus dem Amt gejagt. Nach dem Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 verhaftete ihn die Gestapo - wie wenig später auch seine (zweite) Ehefrau Gussie. Sie wird an den Spätfolgen einer Krankheit sterben, die sie sich während der Haft zugezogen hat. Tagelang ist der Witwer untröstlich, schließt sich in sein Arbeitszimmer ein, hört Musik. Der Tod seiner Frau, schreibt er in einem Brief, sei für ihn eine "Amputation" gewesen. Er habe keine Wurzeln mehr in dieser Welt. Doch Adenauer fängt sich, wie so oft rettet ihn die Arbeit.

Der Wiener Burgschauspieler Joachim Bissmeier hat die (beim rheinischen Singsang angefangen) nicht ganz einfache Aufgabe, Adenauer über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren Gesicht und Stimme zu verleihen. Er löst seine Aufgabe wunderbar, entwirft (ohne übertriebenen maskenbildnerischen Aufwand) ein differenziertes Bild, das auch eine Ahnung zulässt, wie der Mensch hinter dem Politiker mit dem wehenden Staubmantel tickte.

Er war passionierter Rosenzüchter in seinem Rhöndorfer Garten, Bocciaspieler im italienischen Urlaubsort Cadenabbia - und konnte bei dem harmlosen Freizeitvergnügen genauso schlecht verlieren wie im Amt. Meistens hätten sie ihn gewinnen lassen, berichtet die Adenauer-Sekretärin Hannelore Siegel. Er besaß erstaunliches Stehvermögen, war 14 Stunden am Tag auf den Beinen, nicht kleinzukriegen, ein Turm in der Schlacht. Ein cleverer Strippenzieher, ein Schlitzohr war er darüber hinaus. Eine der hübschesten Adenauer-Anekdoten nimmt 1953 im Palais Schaumburg ihren Lauf, wo der Kanzler den CSU-Politiker Franz Josef Strauß empfängt, der sich Hoffnungen auf den Posten des Verteidigungsministers macht. Adenauer bietet ihm das Amt des Familienministers an - was für Strauß ungefähr so attraktiv ist wie ein Posten als Kindermädchen. "Heiraten Sie doch einfach, dann wird es leichter", sagt Adenauer mit einem leise sadistischen Lächeln. Drei Jahre später, als der Kanzler einen Minister braucht, der die Aufrüstung Deutschlands rücksichtslos vorantreibt, kommt Strauß doch noch zu dem gewünschten Amt. Das "Niemals" von einst ist vergessen. Nichts hindere ihn daran, so Adenauer, alle Tage klüger zu werden.

Der Untertitel des Films, "Stunden der Entscheidung", sagt viel über seine Erzählweise aus: Die wichtigsten politischen Stationen werden häppchenweise chronologisch abgehandelt; für private Momente zwischen Adenauer und Gussie (Carolina Vera) bleibt nur wenig Zeit. Deshalb müssen in ihnen - das Prinzip Seifenoper - die entscheidenden Sätze immer rasch fallen: "Du hast dich verändert. Ich verstehe dich nicht mehr." - "Es ist Wahlkampf, mein Liebling." Bei Dialogen wie diesen kommt statt Emotionen die Frage auf, weshalb man keinen Mehrteiler gedreht hat, wenn die Fülle des Stoffs nicht in 90 Minuten zu pressen war.

"Konrad Adenauer" ist eine exzellente Geschichtsstunde über das Nachkriegsdeutschland und ein mittelmäßiger Fernsehfilm.

"Konrad Adenauer - Stunden der Entscheidung" heute, 20.15 Uhr, Arte 5.8., 21.45 Uhr, ARD