In Salzburg mag keine Festspielstimmung aufkommen. Die Auftaktpremieren von Oper und Schauspiel geraten jedenfalls wenig faszinierend.

Salzburg. Draußen steht die schwüle Luft und gewittert es, drinnen werden wie stets die Roben vorgeführt und starbestückte Veranstaltungen am laufenden Meter vom Stapel gelassen. Allein am offiziellen Auftakt-Wochenende der Salzburger Festspiele gab es 16 Opern-, Konzert- und Theatertermine, bis zum 2. September warten insgesamt 248 Veranstaltungen. Der neue Intendant Alexander Pereira muss jetzt freilich auch mit Klasse, nicht nur mit Masse überzeugen. Und das besonders bei Mozart, wo zumindest Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt und Ivor Bolton hinreißende geistliche Konzerte innerhalb der nach einer Vorspielwoche nun mit der Hauptfestpielsache verwobenen "Ouverture spirituelle" gelangen. Weniger hinreißend gerieten die Auftaktpremieren in Oper und Schauspiel.

Hart, schroff, vibratolos gerade, wie eine tönende Grafik, so zeichnet Nikolaus Harnoncourt in der Salzburger Felsenreitschule die Ouvertüre zur "Zauberflöte" nach. Das Alte-Musik-Ensemble scheint den riesigen Raum nie wirklich zu füllen. Eine stilistische Schlacht von gestern wird noch einmal geschlagen, wo heutige Dirigenten längst genauso historisch informiert, aber kompromissbereiter, theatralischer, humaner vorgehen. Harnoncourt, der Musik plastisch gemacht hat wie kaum einer vor ihm, wirkt als bald 83-Jähriger alterssteif und ein wenig müde - was auch am subtropischen Feuchtigkeitsgrad liegen mag.

Drei laut trompetende Damen erscheinen als glamourös berüschte Society-Ladys aus der ersten Reihe. Und Vogelfänger Papageno ist ein eher zufällig mit Federn bepusterter Piepmatz-Metzger, der im motorisierten Dreirad vorfährt. Eine Salzburg-Parodie zur Eröffnung? Wer hätte das vom neuen Intendanten Alexander Pereira gedacht.

Aber diese Hoffnung stirbt schnell. Regisseur Jens-Daniel Herzog kommt direkt auf den Erzählpunkt, durch Originalität hat er sich selten ausgezeichnet. Und so kennt er jetzt für Emmanuel Schikaneders Ägypten- und Freimaurermysterium, für Liebesdrama und Verwechslungsfarce, Prüfungsspiel und misogynen Männerbund nur sehr prosaische Auflösungen. Die machen bei peinigend langsam fortschreitender Handlung immer weniger Sinn, müssen mühsam von Mozarts Musik behübscht werden. Zum Teil wirken Herzogs Einfälle brutal, wenn etwa die dritte Dame dem Papageno für seine Lügen ein goldenes Schloss wirklich vor den Mund "schlägt" und ihm alle Zähne ausfallen oder wenn der Mohr Manostatos (sprechsingend: Rudolf Schasching) der Pamina unters Kleid fotografiert.

Die berühmten Wände der Felsenreitschule werden außer für eine pyrotechnische Einlage der sonst banalen Auftritte der Königin der Nacht (bemüht: Mandy Fredrich) nicht gebraucht. Georg Zeppenfeld singt den undurchsichtigen Oberseminaristen trotzdem anrührend schön, schlank und unzeremoniös. Am Ende aber rangelt er am Boden mit der Königin, während das von beiden begehrte Hoheitssymbol als Babyrassel für die gleich vierfach ihren Kindersegen im Wägelchen davonfahrenden Prinzen- und Papageno-Paare dient: Lassen Sie uns durch, wir sind Mutter! War es das - nach drei Stunden und 40 faden Minuten mit Feuerwehrleuten, rotem Rauch und Aquariumblubberwasser?

+++Eröffnung der Salzburger Festspiele 2012+++

Alexander Pereira ist angetreten, zu Höchstpreisen in Salzburg das weltbeste Mozart-Ensemble anzubieten. Dorthin scheint es nach dieser ersten Premiere der neuen Ära mit einer zusammengecasteten, bis auf den Sarastro wenig distinguierten Sängerschar ein weiter Weg. Es mag keine Festspielstimmung aufkommen: nur Flöte, keinerlei Zauber.

Auch im Schauspiel war der ersten Premiere, Andrea Breths Inszenierung von Kleists "Prinz von Homburg" in Starbesetzung, kein Glück beschieden. Dabei ist die Breth die größte Klassiker-Beleberin, schenkt altem Wort sein neues Recht. Genauigkeit und Seele sind ihre Markenzeichen, doch diesmal scheint sie sich verirrt zu haben. Das Knarren des Gestühls im Salzburger Landestheater ist ohne Zweifel Werk des Menschen, nicht des Holzwurms. Warum sind wir, trotz Ensemble-Luxus, so wenig fasziniert?

Die Liebe der Regie gilt nicht dem jugendlichen Prinzen, sie gilt den alten Männern: dem Kottwitz und Brandenburgs Kurfürsten Friedrich. Hans-Michael Rehberg und Peter Simonischek sind die Stars des Abends. Sie dürfen ihr Können dazu einsetzen, die Figuren zu Charakteren in ihrem Widerspruch zu machen - und werden zu Sympathieträgern. Wir fühlen mit ihnen. Aber August Diehls Homburg? Er handelt überaus unbesonnen, ist eine Gefahr für Leib und Leben seiner Leute. Das Phantasma des Heldischen reißt ihn mit. In Breths kühler Deutung stirbt der Prinz im Machtkampf mit dem souveränen Kurfürsten an seiner eigenen Nervenschwäche. Eine ungewöhnliche Sicht.

Diehls Homburg gehört in eine geschlossene Anstalt für geistig abnorme Reitergeneräle, zur dauernden Sicherheitsverwahrung. Als ihm, da er die Order des Kurfürsten missachtet, Marcus Kiepes Rittmeister von der Golz den Degen abfordert, springt er ihn an, beißt ihm - ein plötzlicher Werwolf - fast das Ohr ab. Absolut Unzurechnungsfähige, also Schuldunfähige, interessieren uns aber auf der Bühne bloß bedingt. Deshalb hat auch die Todesfurchtszene kaum Bewegendes: kein tiefer Fall in den Abgrund der Angst, wo Ehre, Würde, Stolz sich in Winseln auflösen. Und irritierend wirkt sich noch etwas anderes aus: Andrea Breth, stets Verteidigerin der Dichtersprache, erweist Kleists hochkomplexen Satzgebilden einen schlechten Dienst, indem sie sämtliche Zäsuren der Blankverse gleichsam zelebrieren lässt. Vielleicht hat sie den berühmten Aufsatz "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" allzu ernst genommen. Nichts fließt hier, der Poesie wurden die Flügel gestutzt, was jeglichen Aufschwung verhindert - und allmählich langweilt.

Ausbaufähig also, der Salzburg-Auftakt für den neuen Intendanten Alexander Pereira und seinen Schauspielchef Sven Eric Bechtolf. Immerhin: Die Zaungäste im Festspielbezirk bekommen ihr Schauspiel gratis. Sie freuen sich über das Schillern auf dem Roten Teppich, Bianca Jagger, Industriellen-Paare, Star-Tenor Rolando Villazon in Jeans und Sportschuhen und Außenminister Guido Westerwelle, dem zu Salzburg in all dem Getümmel tatsächlich dieser Satz einfällt: "Man kann sich hier auch wunderbar privat aufhalten."