Der Brite John Surman erinnert sich auf “Saltash Bells“ an die Klänge seiner Kindheit

Die Glocken von Saltash, die dem ersten Soloalbum des britischen Saxofonisten John Surman seit 18 Jahren den Titel geben, sind keine Musikinstrumente im engeren Sinne. Sie hängen im Kirchturm der Stadt Saltash im Südwesten Englands, wo Surman aufwuchs. Ihr Schlagen ist bis weit auf den Fluss Tamar hinaus zu hören, der Saltash von Plymouth trennt und der in seenartigen Ausbuchtungen schließlich ins Meer fließt. Der Klang dieser Glocken, vervielfältigt von Echowirkungen, bildet den Soundtrack seiner Kindheit. Wenn Surman abends mit seinem Vater im Dinghi aufs Wasser hinausfuhr, lauschte er auf das silbrige Panorama aus Tönen und erfand eigene Melodien dazu.

Dass vor allem die Musik, die er als Solokünstler erfindet, bis heute wesentlich von dieser frühen Klangerinnerung geprägt ist, wurde Surman, der seit den 70er-Jahren zu den bedeutendsten Saxofonisten des europäischen Jazz zählt, erst spät bewusst. Wenn man so will, hallt in den sanft ineinander verschlungenen Synthesizerlinien auf "Saltash Bells" das Flirren der Glockenmusik nach, während die wunderbar melodischen Gesänge auf Bariton-, Tenor- und Sopransaxofon und auf Alt-, Bass- und Kontrabassklarinette, die er im Multiplay-Verfahren darüberlegt, Echos seiner musikalischen Kinderantworten darauf sind.

Den vielstimmigen Arrangements mit Elektronik, die bei ihm immer warm und human klingt, hat Surman eine Reihe von rein akustisch gespielten Soli an die Seite gestellt. In jedem Stück zieht die Musik dieses großen Stilisten ins Weite, in die Imagination. Wie er Kraft und Subtilität balanciert, wie er seine oft in ganz unterschiedlichen Tempi und in je eigenem Gestus laufenden Linien miteinander in Beziehung setzt, das ist Kunst des musikalischen Erzählens in Vollendung.

John Surman: "Saltash Bells" (ECM)