33 Reporter berichten für die britische Tageszeitung “Guardian“ über die Olympischen Spiele, darunter ein Norderstedter: Philip Oltermann.

London. Am Freitag beginnen die Olympischen Spiele in London. Mittendrin wird der Norderstedter Philip Oltermann sein, als Wahl-Londoner und Journalist beim "Guardian". Als er 16 Jahre alt war, ging er mit seinen Eltern nach England, die nach einem Jahr zurückkehrten. Er aber beendete dort die Schule, studierte anschließend in Oxford und verantwortet beim "Guardian" mittlerweile die Meinungsseite. Seine Eltern leben in Othmarschen. Wenn Oltermann zu Besuch ist, studiert er besonders sorgfältig die Speisekarten. Bei unserem Treffen in der Schanze kamen Labskaus, Matjes und Flammkuchen in die engere Wahl. Am Ende gewann der Flammkuchen.

Hamburger Abendblatt: Der Countdown läuft. Freuen Sie sich auf Olympia?

Philip Oltermann: Natürlich. Wenn so eine einmalige Veranstaltung in die angenommene Heimatstadt kommt, muss man sich als Sportfan darauf freuen. Dazu kommt, dass der Osten Londons ein riesiger sozialer Problemfall ist: Mit Hackney, Newham und Tower Hamlets befinden sich hier gleich drei der ärmsten Bezirke des ganzen Landes. Fraglich, ob diese Zustände durch Olympia verbessert werden können, aber als Londoner muss man darauf hoffen.

Hat sich - abgesehen von den neuen Sportstätten - das Londoner Stadtbild verändert?

Oltermann: Viele der Entwicklungen im Stadtbild sind durchaus positiv. Das S-Bahn-Netz im Osten der Stadt wurde renoviert und erweitert; ob man ohne Spiele dazu die Motivation gefunden hätte, ist fraglich. Leider überwiegen im Augenblick die negativen Eindrücke. Besonders die zunehmende Präsenz von Polizei und Armee im öffentlichen Leben. Es ist nicht lange her, da waren die Bobbys von London für ihre Freundlichkeit berühmt - man sprach damals von "soft policing". Nach den Anschlägen von 2005 ist das vorbei: Polizisten mit Maschinengewehren an der U-Bahn-Schranke und Raketenwerfer auf Hausdächern machen doch einen eindeutig aggressiven Eindruck.

Gibt es für Sie schon jetzt Verkehrsbehinderungen auf dem Weg zur Arbeit?

Oltermann: Bisher hatte ich Glück, aber heute Morgen habe ich schon eine E-Mail bekommen, dass meine Busroute verlegt wird. Wenn die Sonne scheint, fahre ich mit dem Rad ins Büro, aber darauf kann man sich scheinbar diesen Sommer nicht verlassen ...

Was dominiert derzeit noch unter den Londonern: Sportsgeist, Euphorie oder Skepsis?

Oltermann: Auf keinen Fall Euphorie, das wäre für London auch untypisch. Im Augenblick: große Skepsis in allen Lagern. Nachdem der erste Startschuss fällt, schätze ich: Sportsgeist.

Mit wie vielen Mitarbeitern wird der "Guardian" von den Spielen berichten?

Oltermann: 23 unserer Reporter sind für die Spiele akkreditiert, zusätzlich zehn Transport-, Diplomatie- und Sicherheitskorrespondenten, die sich auf die Spiele konzentrieren.

Wie kann man so ein Großereignis überhaupt adäquat abbilden?

Oltermann: Einerseits machen wir eine 16-seitige Beilage, die jeden Tag erscheinen wird. Aber zunehmend lesen unsere Leser den "Guardian" nicht mehr in der Druckausgabe, sondern auf ihren Laptops, iPads oder Smartphones - oft während sie nebenbei Sport im Fernsehen gucken.

Inwiefern sind Sie als Redakteur im Ressort Meinung von den Spielen betroffen?

Oltermann: Bei uns geht es sicherlich weniger um Weltrekorde und Medaillenhoffnungen als um die Politik hinter dem Sport. Geht es hier überhaupt noch um die olympische Idee oder nur um Kommerz? Wer kümmert sich um Sicherheit? Der Staat oder Privatfirmen? Und macht es überhaupt Sinn, die Spiele in einer Metropole wie London zu halten, die ihre Dimensionen sowieso schon fast sprengt?

Welche Themen verhandelt der "Guardian" anders als deutsche Medien?

Oltermann: Instinktiv würde ich behaupten, der britischen Presse gelingt es oft besser, auch über die Sportler positive Geschichten zu erzählen, die am Ende nicht auf dem Treppchen stehen. Ob Paula Radcliffe, die Langläuferin, die andauernd Weltrekorde brach, aber bei Olympia immer wieder schwächelte, oder Sprinter Derek Redmond, der 1992 im Rennen einen Muskelfaserriss erlitt und sich mithilfe seines herbeigeeilten Vaters doch noch über die Ziellinie schleppte: Man liebt in der englischen Presse die glorreiche Niederlage fast mehr als den haushohen Sieg.

Gibt es olympische Sportarten, auf die man gut und gern verzichten könnte?

Oltermann: Braucht man wirklich ein Tennis- und ein Fußballturnier, wenn man kurz vorher schon Wimbledon und die EM hatte? Interessanterweise verläuft der Kartenverkauf für das Fußballturnier sehr stockend - eigentlich überraschend im Mutterland des Fußballs.

Wer sind Ihre Lieblingssportler, bei den Briten und den Deutschen?

Oltermann: Aus meiner Kindheit habe ich immer noch starke Erinnerungen an Dieter Baumanns Goldmedaille aus dem Jahr 1992: dieser blonde Schlacks, der im Endspurt plötzlich die Lücke findet. Bei den Spielen in London würde ich mich besonders über eine Medaille für Christine Ohuruogu freuen, eine Sprinterin aus einer nigerianischen Einwandererfamilie aus Stratford.

Was könnte Sie mit Ihren deutschen Wurzeln und der britischen Gegenwart emotional in Schwierigkeiten bringen?

Oltermann: Da ja bei Olympia oft nicht direkte Duelle entstehen, hoffe ich, dass ich allzu große Identitätskrisen vermeiden kann. Die bewahre ich mir für die großen Fußballturniere auf.

Ist "höher, schneller, weiter" noch ein gutes Motto? Gibt es Alternativen?

Oltermann: Schön wäre es doch, jedes Jahr einen Spruch aus dem Gastland zu adoptieren. Es gibt dieses Mantra von Samuel Beckett (ein Ire, kein Londoner): "Try again. Fail again. Fail better." Versuch's noch mal. Scheitere noch mal. Scheitere besser. Und in Hamburg 2092 dann: "Höher, schneller, mit mehr Schmackes."