Mit “Channel Orange“ hat Frank Ocean ein großartiges Rap-Album des Jahres herausgebracht. Doch alle Welt redet nur über eines: sein Coming-out

Hamburg. Die Pop-Kritiker haben dem amerikanischen Soulsänger Frank Ocean eine Bühne aus vielen, vielen schönen und netten Worten gebaut. Auf der steht er jetzt und schaut hinunter: Mindestens für einen Sommer ist er der (heimliche) König des Pop. Ocean, 24, veröffentlicht dieser Tage sein Debütalbum. "Channel Orange" ist vielen eine Verheißung, er wird mit den ganz Großen des Genres verglichen: Marvin Gaye und Stevie Wonder etwa. Und so maßgeblich wie Kanye West, ein anderer schwarzer Künstler aus Übersee, soll Ocean sein: Was soll man dazu sagen? Vielleicht, dass die Elogen tatsächlich nicht unberechtigt sind. Der Weisheit der vielen kann man sich auch einfach einmal anschließen.

"Channel Orange" ist ein anspruchsvolles, komplexes Werk, das soundästhetisch und von den einzelnen Songs her außergewöhnlich ist. Es ist spielerisch, ohne dabei den Pop-Appeal missen zu lassen. Ocean ist ein guter Sänger. Und auch ein guter Texter: Das beweist er nun nicht nur mit den Lyrics von "Super Rich Kids" oder "Bad Religion". Das bewies er auch mit einem poetischen Text, den er vor zwei Wochen via Internet der Öffentlichkeit zugänglich machte. Ocean gewährte Einblicke in sein Liebesleben und erzählte von einer unglücklich verlaufenen Romanze, als er 19 war. Mit einem Mann.

Letzteres ist deswegen wichtig, weil Ocean als Künstler Bestandteil der R-'n'-B- und Hip-Hop-Szene ist. Die beiden Genres sind manchmal nicht zu trennen: Das sieht man etwa am Beispiel der Musikfreunde Odd Future Wolf Gang Kill Them All, deren Chef der Rapper Tyler the Creator ist. Frank Ocean gehört auch zur Clique - und damit zu einer Szene, in der die Homophobie ritualisiert ist und der Männlichkeitskult klaren Regeln folgt: Ein Hip-Hopper ist nicht schwul.

Und wenn er es doch ist, dann behält er es tunlichst für sich. Oceans Coming-out wertete manch einer als Sensation. Andere, wie Chuck D von Public Enemy, unkten schnell, dies alles sei nicht gut für seine Karriere. So oder so gilt Oceans lyrische Erklärung als eine Art Dammbruch. Und die Publicity, die Ocean durch das Manöver bekam, ist natürlich auch nicht zu verachten - so funktioniert die Star-Branche.

Allerdings gebührt Ocean alle Aufmerksamkeit für "Channel Orange". Selten so gelungenen R 'n' B gehört, so sanft tropfend und schmelzend elegisch: Wer will, kann die Texte auf persönliche und intime Bezüge hören (da bietet sich besonders "Bad Religion" an). Man kann Songs wie das zentrale, zweigeteilte "Pyramids", das in seiner Komposition so anspielungsreich wie genial ist, aber auch einfach so hören. Was da alles mitklingt: Elektro, Weltmusik, Funk, Soul.

Man darf gespannt sein, ob man diese Songs bald auch in der Deppendisco oder auf der Kirmes hören wird. Wenn ja, weiß man trotzdem: Frank Oceans Kunst hat eine existenzielle Tiefe, sie ist von Trauer durchzogen und doch auch von Hoffnung. "Channel Orange" ist ein reifes, ein melancholisches Meisterwerk.

Frank Ocean: "Channel Orange" (Universal)