“Schädelkult. Kopf und Schädel in der Kulturgeschichte des Menschen“ ist im Schloss Gottorf um die Kunst erweitert worden

Schleswig. Das muss man sich mal vorstellen: Das sitzt Johann Wolfgang von Goethe in seinem Arbeitszimmer, betrachtet den Schädel seines Kollegen Friedrich Schiller, der auf einem Samtkissen vor ihm liegt, und schreibt ein nachdenkliches Gedicht über die Endlichkeit alles Seins. Der Weimarer Dichterfürst wusste allerdings nicht, dass es eben nicht Schillers Schädel war. Das kam erst vor ein paar Jahren bei einer DNA-Analyse heraus.

Jetzt ist Schillers vermeintlicher Schädel im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloss Gottorf zu sehen, als eines von zahlreichen Exponaten der Ausstellung "Schädelkult. Kopf und Schädel in der Kulturgeschichte des Menschen". Es ist ein faszinierendes und ungemein vielschichtiges Thema, denn der menschliche Schädel spielte zu allen Zeiten und in nahezu allen Kulturen eine zentrale Rolle. Man fürchtet ihn, verehrt, sammelt und bearbeitet ihn; der Schädel kann als Beutestück vom Sieg über einen Gegner zeugen oder als Memento mori an die Unausweichlichkeit des eigenen Todes gemahnen.

Anders als im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum, wo die Ausstellung schon zuvor mit großem Erfolg zu sehen war, ist sie in Schleswig um den Aspekt der Kunst erweitert worden. Es geht also nicht nur um Archäologie, Ethnologie und Volkskunde, sondern auch um die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Schädel, was Werke von Lucas Cranach bis Sigmar Polke belegen.

Aber manchmal lassen sich die Bereiche gar nicht so sauber trennen, wie sich schon am ältesten Exponat zeigt, einem 9000 Jahre alten übermodellierten Schädel, der als Leihgabe aus dem Israel-Museum in Jerusalem nach Schleswig gekommen ist. Er stammt aus dem Vorderen Orient, wo die Menschen schon im siebten Jahrtausend vor Christus begannen, Schädel plastisch zu überformen, um ihnen auf diese Weise ihr Gesicht zurückzugeben. Man könnte in diesem Zusammenhang sogar von der frühesten Form des Porträts sprechen, von einer Praxis, in der sich Kunst und Kult, die Verehrung der Ahnen und der Wunsch nach künstlerischem Ausdruck verbinden.

Künstlerisch bearbeitet wurde auch ein in der Ausstellung gezeigter Maori-Schädel, mit dem sich eine beklemmende Geschichte verbindet: Die neuseeländischen Ureinwohner versahen sowohl die Schädel besiegter Feinde als auch prominenter Stammesführer über und über mit kunstvollen Tätowierungen. Als der Entdecker James Cook einen solcherart bearbeiteten menschlichen Kopf im späten 18. Jahrhundert aus Neuseeland mit nach England brachte, war dieser eine enorme Sensation. Bald entstand in Europa und den USA eine große Nachfrage nach diesen Objekten, was dazu führte, dass die Maori ihre Sklaven oder sogar Angehörige des eigenen Stammes töteten, um deren Schädel zu tätowieren und diese dann an weiße Händler zu verkaufen. Bis ins 20. Jahrhundert hinein gelangten derartige Köpfe in westliche Museen. Erst jetzt gerät die ethische Dimension dieser zutiefst inhumanen Praxis in den Blick, sodass es Überlegungen gibt, diese Schädel in ihre Ursprungsländer zurückzugeben.

Völlig unbedenklich ist dagegen eines der wohl sensationellsten Exponate der Ausstellung: ein Miniaturschädel aus Alabaster. Dass das rechte Jochbein fehlt, ist kein Zufall, sondern Folge einer Kieferverletzung. Das anatomisch korrekt gefertigte Modell weist verblüffende Übereinstimmungen mit einer Skizzenserie auf, in der Leonardo da Vinci 1487 Gesichter dargestellt hat. Ist es also ein Werk des berühmten italienischen Renaissance-Künstlers? Experten, die dieses nur fünf Zentimeter große Meisterwerk in den letzten 20 Jahren intensiv erforscht haben, halten das für sehr wahrscheinlich.

Die Ausstellung in der Gottorfer Reithalle ist nicht nur aus konservatorischen Gründen abgedunkelt, sondern auch, weil die Kuratoren und Designer angesichts der Brisanz des Themas besonderen Wert auf eine respektvolle Präsentation gelegt haben. Dank dieser Haltung ist es sogar möglich, so grausige Exponate wie einen originalen Schrumpfkopf aus Südamerika so zu präsentieren, dass sich der Betrachter nicht zwangsläufig als Voyeur fühlt, sondern vielmehr Respekt empfindet. Besonders hilfreich sind die ebenso fundierten wie knappen Informationen, die der Audioguide vermittelt, der im Eintrittspreis enthalten ist.

Nächste Woche: Museum Schwedenspeicher, Stade

"Schädelkult. Kopf und Schädel in der Kulturgeschichte des Menschen" bis 14.10., Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schloss Gottorf (Schlossinsel 1), Mo-Fr 10.00-17.00, Sa/So 10.00-18.00, Eintritt 9,-/ermäßigt 5,50 (inklusive Audioguide), Katalog zur Ausstellung 19,80; www.schloss-gottorf.de