In der Fotoschau “Ichundichundich“ lässt sich der Maler Pablo Picasso im Museum für Kunst und Gewerbe durch seine Porträts entdecken.

Hamburg. Ein Gesicht wie ein Monolith. Aus einem Stein gemeißelt. Magisch. Dazu dieser suggestive Blick aus Augen, die den Betrachter - ein Klischee, aber hier so treffend - wie glühende Kohlen anstarren. Richard Avedon lichtete den Maler Pablo Picasso (1881-1973) im Jahre 1958 in einer eindrucksvollen Nahaufnahme ab. David Douglas Duncan setzte sie 1957 anstelle der Augen einer auf Papier gezeichneten Schneeeule ein, und Robert Doisneau (1912-1994) verbarg das Gesicht bis zu den Augen im Bildvordergrund vor den Interieurs seines Ateliers. "Zum Schauen zum unablässigen Staunen geboren" nannte der Künstler Brassaï (1899-1984) die Augen Picassos. Viele dieser Augenpaare starren den Besucher der Schau "Ichundichundich. Picasso im Fotoporträt" nun im Museum für Kunst und Gewerbe an, in unterschiedlichen Kontexten.

Das spanische Künstlergenie hat nicht nur entscheidend die Malerei revolutioniert, es wurde selbst zum exzessiven Objekt der Kunst und gleichzeitig zu seinem eigenen Inszenator. Viele Fotografen arbeiteten in Picassos Auftrag oder waren mit ihm befreundet und bewegten sich im Spannungsfeld zwischen seinem Willen und ihrem Selbstverständnis als Künstler. Und sein Wille zu posieren war gewaltig.

In 250 überwiegend schwarz-weißen Aufnahmen von 34 Fotografinnen und Fotografen lässt sich das Jahrhundertgenie bis zum 21. Oktober in dieser Schau, die in Kooperation mit dem Museum Ludwig in Köln entstand, entdecken. Der an die Sprachspielereien des Dada erinnernde Titel kommt nicht von ungefähr. Er ist einem Gedicht entlehnt, das die Kunstsammlerin und -förderin Gertrude Stein über die visuelle Besessenheit ihres Freundes Pablo Picasso verfasste. Dieser kleine spanische Macho mit der Knollennase war süchtig danach, sich zur Schau zu stellen. Plakate seiner Ausstellungen zeigten nicht etwa seine Werke - sondern den Künstler. Das Medium der Fotografie war ihm zur Erinnerung stets näher als der Spiegel, dessen Wahrheitsverpflichtung der mit der Vergänglichkeit schwer Hadernde lieber vermied.

Die Mehrzahl der ausgestellten Fotografien stammt aus den 1940er- bis 1960er-Jahren. Nach 1944 setzte mit dem Ende der deutschen Besatzung eine regelrechte Bilderflut ein. Neben den klassischen Porträts eines Richard Avedon sind Werke der Surrealistin und Picasso-Muse Dora Maar, des modernen Hamburger Klassikers Herbert List, des Flaneurs Robert Doisneau, des Reportagefotografen Robert Capa und von Gesellschaftsknipsern wie Cecil Baton oder Edward Quinn zu sehen. Die Fotografien zeigen Picasso im Künstleratelier in der Rue des Grands Augustins. Als tänzelnden Witzbold, der sich über den Betrachter mokiert. Oder als Meister der Camouflage und Illusion etwa bei Edward Quinn 1959 mit Stierkampfmaske. Mitunter fokussieren die Fotografen ganz auf Augen und Hände.

Natürlich hat sich Picasso auch selbst fotografiert. Vor Gemälden im Atelier Rue Schoelcher 1915/16 lichtete er sich als Boxer in weißen Shorts breitbeinig stehend mit nacktem Oberkörper ab. Sinnbild eines hart malochenden Malers - und Machos. Das Skulpturhafte der Physiognomie kommt in besonderen Licht- und Schattenkontrasten, wie sie etwa Man Ray verwendete, besonders gut zur Geltung.

Sicherlich hat Picasso die Pionierarbeiten von Alfred Stieglitz oder Edward Steichen in der Zeitschrift "Camera Work" sehr genau wahrgenommen, die auch im Umfeld von Gertrude Stein rezipiert wurden. Man Ray (1890-1980) lichtete Picasso 1923 am Montparnasse ab und inspirierte Picasso darin, mit der Technik der Rayografie, einer Mischung aus Zeichnung und Fotografie, zu experimentieren. Der amerikanische Fotograf David Douglas Duncan (geb. 1916), der vor allem den Pazifik- und Koreakrieg dokumentiert hat, fand Zugang zum schwierigen Künstler und fotografierte ihn in seiner Villa La Californie am Stadtrand von Cannes in längst berühmt gewordenen Ansichten mit Françoise Gilot und ihren Kindern. Von Duncan stammt auch ein farbiges Bildnis aus dem Jahre 1960, auf dem Picasso sein markantes Profil unter einem prachtvollem Indianer-Federschmuck zeigt, den ihm Hollywood-Schauspieler Gary Cooper geschenkt hatte.

Picasso selbst äußerte sich einmal dahin gehend, dass er als Einziger sich selbst im Gegensatz zu allen anderen nicht sehen könne. Auch darin findet sich vielleicht eine Erklärung für seine Lust am eigenen Bild. Gleichzeitig lässt sich über die Jahre beobachten, dass sich die Kunst seiner Selbstdarstellung über diverse Lebensphasen wandelte und er immer stärker zum Strategen einer sorgsamen Bildchoreografie wurde. Vom Bohemien der frühen Jahre, sehr authentisch und etwas überrascht in seinem Atelier, bis hin zu späteren Fotostrecken im "Life Magazine", die das Familienleben ausbreiteten und auch der Sehnsucht nach Bildfutter über den Frauenhelden Ausdruck verliehen.

Das Kalkül dieser Strecke verdeutlicht, wie sehr Picasso selbst um die Faszination und ikonische Macht wusste, die der Mensch hinter dem Kunstwerk auf Publikum und Leserschaft ausübte. Er war die Beute der Fotografen und gleichzeitig war er ein Verfolger. Das gilt natürlich insbesondere für die Fotografinnen, zu denen er häufig ein ambivalentes Verhältnis unterhielt.

Von Dora Maar (1907-1997) ist die Episode überliefert, dass sie ein scheinbar zufälliges Zusammentreffen im berühmten Café Les Deux Magots arrangierte. Dort stach sie mit einem Taschenmesser zwischen ihren schwarz behandschuhten Fingern in die Tischplatte. Ein Ritual, das seine Aufmerksamkeit erregen musste. Angeblich hat er die blutbefleckten Handschuhe sein Leben lang aufbewahrt. Die Arbeiten der dem Surrealismus zugeneigten Maar wirken erstaunlich pur und spiegeln nicht die sexuelle Anziehung des über zehn Jahre vereinten Paares. 1935/36 wird sie gleichwohl eine der frühen Fotografien mit einem Messer traktieren, das Gesicht verkratzen und es mit einem seltsamen Heiligenschein versehen.

Die Man-Ray-Schülerin Lee (Elizabeth) Miller (1907-1977) lichtete den Künstler über einen Zeitraum von 36 Jahren ab, das längste Projekt innerhalb ihres Gesamtwerkes. Sehr nachdenklich angesichts der politischen Fährnisse blickt der Maler von einem Foto, das Julia Pirotte (1908-2000), Überlebende der NS-Verfolgung, beim Weltkongress der Intellektuellen in Breslau, Polen 1948, anfertigte.

Manche Bilder sind längst so berühmt wie der abgelichtete Künstler selbst. Etwa Irving Penns Darstellung von 1957, die den Maler mit Hut und bis auf die Augen verborgenem Gesicht zeigte. Oder jenes von Robert Doisneau aus dem Jahre 1952, das den Spanier im Ringelpulli am Tisch zeigt. Croissants anstelle seiner Hände. Oder auch Robert Capas berühmtes Strandfoto von 1948, auf dem er Françoise Gillot vor der Sonne schützt. "Ich habe die Fotografie kennengelernt", soll Picasso selbst 1910 geäußert haben, "Nun kann ich sterben." Die Schau nötigt den Besucher nicht, der Biografie des Künstlers chronologisch zu folgen. Sie erzählt von unterschiedlichen Annäherungen der Fotografen an eine Ausnahmepersönlichkeit. Von Künstlern an einen Künstler. Bereichernd für beide.

"Ichundichundich. Picasso im Fotoporträt" bis 21.10., Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Di-So 11.00-18.00, Do 11.00-21.00