Mit Sommerfestspielen können sich Städte kulturell profilieren. Hamburg versucht nicht, in diese Liga aufzusteigen. Eine Polemik

Hamburg. Man will und soll Musikmetropole sein, sexy Kulturstadtsowieso und am besten auch Festspielstadt werden - jetzt, da es wieder voranzugehen scheint mit der Baustelle Elbphilharmonie, der Image-Ikone der Hamburger Großkultur. Die schmerzhafte Wahrheit findet sich in Goethes "Faust": Die Botschaft hör ich wohl,allein mir fehlt der Glaube.

Während im Rest der Republik und in deren europäischer Nachbarschaft das Vorglühen für die wegweisenden Festspiele beginnt, ist in Hamburg, der zweitgrößten Stadt einer einmaligen Kulturnation mit riesigem Einzugsgebiet, nur: Generalpause. Provinz.

Während andernorts das Kofferpacken beginnt, um das Gemüt mitReizen, Anregungen und Kontroversen fluten zu lassen, begnügt sich Hamburg damit, seine Touristen mit Fischbrötchen, Hafenrundfahrten und Sommerbespielungen abzuspeisen. Wer das nicht will, kann ja in die Musicals. Das mag kurzfristig lukrativ sein, langfristig bleibt es eine Bankrotterklärung. Löbliche Kleinigkeiten wie das Sommerfestival auf Kampnagel sind Nischenprogramme; auch das privat finanzierte Theaterfestival im Herbst bietet mit seinem Gastspiel-Büfett viel Schönes, aber nichts Hausgemachtes. Und es verpufft, weil es nur Sättigungsbeilage ist.

Gründe für die hanseatische Sommerloch-Misere sind schnell genannt. Zunächst fehlt es an speziellen Spielstätten, die durch Impulse aus aller Welt mit kreativer Energie aufgeladen werden. Salzburg hat seinen Festspielbezirk, Avignon und Aix ebenso, Bayreuth hat den Grünen Hügel, die Ruhrtriennale die Monumente abgestorbener Wirtschaftszweige. Hamburg hat: nichts dergleichen. Nur seine sehr hohe Meinung von sich selbst.

Der zweite Aspekt: Tradition. Im Idealfall ist sie vorhanden: Salzburg macht Millionenumsätze mit dem Mythos Mozart und dem Flair der hochpreisigen Einmaligkeit, das Heinrich Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss mit der Erfindung der Festspiele dazuinstalliert haben. Bayreuth hatte auch das Glück, dass der Fürst in Weimar dem Ex-Revoluzzer Wagner nicht weit über den Weg traute. Also entstand Richard Wagners Selbstbeweihräucherungstempel in der fränkischen Provinz. Die Ruhrtriennale wurde auf den verkohlten Image-Ruinen des Ruhrpotts errichtet.

Dass Hamburg umgeben ist von Flächenfestivals in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, macht die Sache auch nicht einfacher. Denn der Reiz des Besonderen versickert in der Fläche, er baut keine Spannung auf, sondern verteilt sie auf Gemeinden, Kuhdörfer und Viehscheunen. Es gibt kein Epizentrum und keinen Magneten. Dafür gibt es auch keine Wahnsinnigen im XL-Format, die als Intendanten oder Konzeptfeiler eine Stadt begeistert mitziehen könnten ins Unbekannte.

Programmatischer Mut wird hier traditionell mit anfänglicher Ignoranz bestraft. Warum sollte ein Kandidat zur Etablierung von wirklich Neuem derzeit nach Hamburg kommen? In eine Stadt, die sich ihre Museen nicht mehr leisten will und die ihre Kultur darben lässt, während ein Prestigebau hoch über der Elbe signalisiert: Geht doch, das mit der Kultur, wir haben Geld, satt.

Letzterer, nicht unwichtiger Punkt: das Geld. Hamburg ist zu wohlhabend, um sich Zweitklassiges leisten zu können. Die ersten Bayreuther Festspiele hatten sich so tief in die roten Zahlen geritten, dass die Fortsetzung erst sechs Jahre später möglich war - der Rest ist bekannt. In Hamburg wird unterdessen darüber gezankt, was man mit einer Kulturtaxe anstellt, die wohl nur zum Teil der Kultur zugutekommt.

Es ist Jahre her, dass hier mit der Idee einer spartenübergreifenden Triennale ein großer Anstoß gegeben wurde. Über Thesen kam sie nie hinaus. Wer Visionen habe, solle gefälligst zum Arzt gehen, hat Helmut Schmidt gesagt. Wer zum Thema Kultur keine hat, ist in seiner Heimatstadt genau richtig.