Langnese-Momente und 80er-Coolness: Die neuen Platten der beiden New Yorker Bands sind wirklich ganz großes Pop-Kino.

Hamburg. Das inoffizielle Video zum hinreißendsten der neuen DIIV-Songs ist eine Erinnerung an die gute alte Zeit: Bikinimädchen, coole Surfjungs, blaue Wellen, gelber Strand, heiße Herzen. Der Langnese-Moment im Baywatch-Paradies. Großes Sommerkino, und dann ist da ja auch noch dieses Lied, das, gäbe es ihn denn, der perfekte Popsong sein könnte. Das Stück, schlanke 2:45 Minuten lang, heißt "Follow", ist eine funkenschlagende Powerpophymne mit funkelnden Gitarren und einem phänomenalen Riff.

Korallenriff, oder was? Nee, Musikriff: Was für eine Akkordfolge! Das Gitarrengedengel auf "Oshin", dem Debütalbum der amerikanischen Band DIIV (sprich: Dive), wurde so in den 80er-Jahren erfunden, als Robert Smith und seine Band The Cure mit einem neuen Wave-Sound um die Ecke kamen. The Cure hat etliche Generationen von Musikern beeinflusst, und dabei immer die geschmacksichersten. Deshalb ist "Oshin" eine Hommage an die 80er-Jahre. Gleiches gilt im Übrigen für "Confess", das zweite Album des immer etwas düster und gefährlich dreinschauenden Musikers George Lewis Jr., der unter dem Namen Twin Shadow auftritt.

Sowohl Twin Shadow als auch DIIV stammen aus New York, man trifft diese jungen Leute dort in den Klubs in Brooklyn, wo sich die popkulturell informiertesten Menschen der Welt herumtreiben. Mindestens. Gerade die vier Musiker von DIIV dürften derzeit Klubgespräch sein: Ihr Debüt ist außerordentlich gelungen und trifft den Nerv des Augenblicks. Dream Pop, Wave Pop: Das machen ja auch die Kollegen von Beach House, zum Beispiel. Was sagt das über unsere Zeit? Vielleicht, dass wir uns vom sphärischen Schönklang gerne mal sedieren oder ins Traumland schicken lassen, wo alles so schön flauschig ist. Sonst ist ja gerade gar nichts flauschig. Europa implodiert, Amerika hat keine Visionen. Schlimme Zeiten.

DIIV ist die Band des Zachary Cole Smith, den man als Tour-Gitarristen der schrabbelnden Indie-Band Beach Fossils kennen könnte. Der kleine Ruhm der alten sollte nun vom ungleich größeren der neuen Band übertroffen werden, oder? Pitchfork.com, das wichtigste Musikmedium überhaupt, freute sich jedenfalls über die langen Instrumentalpassagen der Songs und staunte über das Vorhaben, die Bedeutung eines Songs über Gitarren und nicht über Texte zu transportieren.

Der DIIV-Sound ist schön, schwelgend und nervös zugleich, er fließt dahin in der vollendeten Akkord-Euphorie dieser zauberhaften Songs, die "How Long Have You Known" oder "Sometime" heißen. Dancefloor-Knaller der Saison: "Doused", ganz klar.

Harte Konkurrenz erwächst ihm freilich aus der Twin-Shadow-Platte "Confessed". Die besteht praktisch nur aus Hit-Singles, wie die zweitwichtigste Musikplattform des Universums befand, die Platten-Kolumne auf "Spiegel Online" nämlich. George Lewis hat für seine zweite CD wieder in der Pop-Ästhetik des Früher gestöbert: Wir hören Gitarrensoli, die von Whitesnake sein könnten, und darüber hinaus viel Prince, Bruce Springsteen und den ganzen anderen Kram, der vor 25, 30 Jahren im Radio lief.

Lewis, der Lederjacken- und Tollenträger, hat kürzlich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder sein Motorrad aus der Garage geholt, dann ist er über den Highway gebrettert. So fühlt sich "Confess" an: Man hält beim Hören die Haare in den Wind und spürt, wie einem die Sonne auf den Rücken knallt.

Den seichten Synthesizer-Teppich, der unter den Kompositionen des in der Dominikanischen Republik zur Welt gekommenen und in Florida aufgewachsenen Musikers liegt, muss man sich als fliegenden vorstellen. George Lewis sitzt ganz lässig da oben, und neben ihm liegen "Purple Rain" und "Born In The USA". Interessanterweise hat "Confess" keine allzu nostalgische Anmutung. Im Gegenteil: Es klingt jetzt genau richtig. Aber man würde dem Liebesleidensmann Lewis, der gerne von gebrochenen Herzen singt, jetzt mal Erlösung wünschen.

DIIV: "Oshin" (Captured Tracks) Konzert am 29.8. im Aalhaus

Twin Shadow: "Confess" (Beggars)