Rasmus Engler, Musiker (Gary, Herrenmagazin)

Im Rahmen der Jahrtausendwende, als ich mich endgültig von der elenden Borniertheit der Punkszene entfernt hatte, verstrich ein Gutteil meiner Lebenszeit im Schallplattenfachgeschäft Zardoz in der Filiale am Altonaer Bahnhof. Leicht ist es, dies "Damals" zu verklären als eine aufregendere Zeit für "Musikinteressierte": Eine Entdeckung im Secondhandfach war nun einmal eine humboldthafte Erfahrung, und als ich das Klappcover mit dieser unerklärlichen Collage in den Händen hielt, war ich die 18 Mark bereits los. Guided By Voices waren mir von einigen EPs und Singles bekannt, und ich hatte immerhin schon davon gehört, dass die Hauptfigur der Band ein ehemaliger Grundschullehrer aus der nordamerikanischen Provinz war, ein gewisser Robert Pollard. (Nicht unerwähnt bleiben darf sein kongenialer Kompagnon Tobin Sprout.)

Was mich an "Alien Lanes", ihrer achten Platte, in 28 oftmals ohne Pause aneinandergehefteten Liedern so sehr beeindruckte, war, wie sich hier der unbändige Schaffenswille eines rastlosen, biergetriebenen Ausnahmegeistes Bahn brach. Außerdem die nachgerade dekadente Ideenverschwendung, die sich dergestalt nur in einer Ödnis wie der von Dayton, Ohio, in einem mit Tausenden von Schallplatten vollgestopften Keller zu solcher Perfektion entwickeln konnte. Die kryptischen Texte, die keiner herkömmlichen Rock-Konvention folgende Aufnahme- und Produktionsweise, deren für ungeschulte Ohren schrottiges Ergebnis auf seltsame Weise mit diesen unsterblichen Äonsmelodien kollidierte. Für lange Zeit sollte mich nichts ausgiebiger in Beschlag nehmen. Nach 16 langen Jahren hat sich die Band dieses Jahr übrigens in der Besetzung, die auch auf "Alien Lanes" zu hören ist, wieder zusammengetan und bis dato zwei exquisite Alben hervorgebracht, die beweisen, dass Alkoholabusus und ein formidables Melodieverständnis auch in diesem Jahrtausend Schlüsseltugenden sind.