Ein Fotobuch erzählt das ungewöhnliche Leben von Domenica Niehoff, die auf St. Pauli zur wohl bekanntesten Hure Deutschlands wurde.

Hamburg. Eine Frau im weißen Morgenmantel liegt allein in ihrem Doppelbett, die Knie entspannt angewinkelt, umgeben von einer kuscheligen Nippes-Landschaft. Sie hat ein schönes Gesicht, das mit dem Madonnen-Bildnis über dem Bett auf so wundersame Weise harmoniert. Es ist Deutschlands ehemals bekannteste Prostituierte Domenica Niehoff, und eigentlich ist mit dem Foto alles über diese ungewöhnliche Frau gesagt: ihr übergroßes Harmoniebedürfnis, ihr Rückzug in eine heile Welt und der Vergleich mit einer Madonna, die viele Künstler und Fotografen in ihr gesehen haben.

Kiez-Fotograf Günter Zint, der 30 Jahre mit ihr befreundet war, hat das Foto 1985 in ihrem Schlafzimmer gemacht, als Domenica seine Nachbarin in der Hein-Hoyer-Straße auf St. Pauli war. "Die heile Welt in ihrem Schlafzimmer war ihr heilig. Freier hatten keinen Zutritt, Platz nehmen durfte nur, wer dazu aufgefordert wurde", sagt Zint, der jetzt ein liebevolles Fotobuch über die Frau gemacht hat. "Domenica - das Fotobuch" blättert ihr Leben auf, gewährt sehr private Einblicke.

Weil Zint den Nachlass geerbt hat, konnte er das Buch üppig zusammenstellen. Dazwischen auch Zitate von Domenica, etwa: "Ich habe meine Grenzen fallen lassen und mich auch in den einen oder anderen (Freier) verliebt. Warum auch nicht. Ich war doch alleinstehend."

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1945 wird Domenica Anita Niehoff in Köln geboren. Ihre Mutter Anna zieht die Kinder allein auf, muss wegen Diebstahls ins Gefängnis. Domenica Niehoff kommt in ein katholisches Waisenhaus, beginnt später eine kaufmännische Lehre. Mit 17 Jahren lernt sie den Kölner Bordellbesitzer Kuno kennen, bricht die Lehre ab und lebt von Kunos Geld im Luxus. Der tablettenabhängige Mann erschießt sich.

Die junge Frau geht nach München in ein Bordell. "Ich bin nicht hineingeschubst worden ins Leben, ich bin freiwillig gegangen", sagt sie später ihrem Freund Günter Zint. Ein Jahr danach verliebt sie sich auf dem Kölner Karneval in Hanne Kleine, dem bis 2011 das Hamburger Bordell Zur Ritze gehört, und arbeitet für ihn elf Jahre lang. "Der hat mich eiskalt als Geldmaschine gesehen", sagt sie. 1980 trennt sie sich von Kleine und pachtet ein eigenes Studio im Hinterhof der Herbertstraße, hat "endlich selbstständiges, selbst verdientes Geld".

gallery Domenica (italienisch: Sonntag) Niehoff arbeitet als "Domina", sie züchtigt ihre Kunden jedoch nicht selbst. "Ich quäle auch ganz gerne, aber nur seelisch", sagt sie. Mit der strengen Frisur provoziere sie "bei Männern meistens die Fantasie, dominiert zu werden", tritt als "Tante, Mutter, Lehrerin" auf. Sie erhält Fanpost aus allen Gesellschaftsschichten, wird zur Muse von Künstlern. Bei Talkshows und Partys lernt sie Prominente kennen, etwa Gloria und Johannes von Thurn und Taxis, Tomi Ungerer, Udo Lindenberg, Jan Fedder, Heidi Kabel und Alice Schwarzer. Domenica war eine der Ersten, die dafür kämpften, dass Prostituierte Rechte bekamen.

Mit 45 Jahren verlässt sie das Milieu und arbeitet als Streetworkerin bei der Sozialbehörde für circa 2500 Mark im Monat. Am Hansaplatz unterhält sie einen Stammtisch für Huren. Filmrollen und Theaterauftritte folgen. 1998 wird sie Wirtin einer Kneipe, die aber bald schließen muss. Weitere wirtschaftliche Misserfolge kommen. Schwer krank wohnt sie in einer Sozialwohnung an der Talstraße. Am 12. Februar 2009 stirbt sie an einer chronischen Bronchitis. Als Günter Zint den Nachlass auflöst, findet er "einen ganzen Dachboden voller Nippes".

"Domenica - Das Fotobuch", Dölling und Galitz Verlag, 80 Seiten, 19,90 Euro