Ob das Konvolut dem großen Barockmeister zuzuordnen ist, bleibt weiter umstritten. Der Fund von 100 Werken des Malers stößt weiter auf Skepsis.

Hamburg. Kunstgeschichte ist trotz aller Kennerschaft keine besonders exakte Wissenschaft. Was Kunsthistoriker heute für erwiesen halten, kann schon bald als Irrtum gelten. Das ist bei sogenannten Zuschreibungen oder Abschreibungen nicht anders als bei Entdeckungen von Kunstwerken, die aufgrund von Indizien wie Stilvergleichen einem großen Namen zugeordnet werden.

Kein Wunder also, dass die Bekanntgabe der Entdeckung von etwa 100 Werken des italienischen Barockmalers Michelangelo Mersi da Caravaggio in der Kunsthistorikerszene nicht nur auf Begeisterung stieß, sondern auch auf erhebliche Skepsis.

Die beiden italienischen Kunsthistoriker Maurizio Bernardelli Curuz und Adriana Conconi Fedrigolli hatten am Donnerstag erklärt, ein Konvolut von Zeichnungen aus dem Nachlass des Malers Simone Peterzano dem ungleich bedeutenderen Caravaggio zugeordnet zu haben. Bei der Analyse der Zeichnungen und Gemälde seien sie auf ein "geometrisches Regelwerk" gestoßen, das eine Art künstlerische DNA erkennen lasse, die auch in den späteren Gemälden von Caravaggio wiederkehre.

+++ 100 Caravaggio zugeschriebene Zeichnungen aufgetaucht +++

Abgesehen davon, dass es kunstgeschichtliche DNA-Tests natürlich nicht gibt und jede Stilanalyse auch subjektiv interpretierbar ist, gibt es einige Indizien, die für Caravaggio sprechen. So war der große Italiener, der erst lange nach seinem Tod Berühmtheit erlangte und vor allem aufgrund seiner dramatischen Lichtregie heute als Superstar der Barockmalerei gefeiert wird, ganz zu Beginn seiner Laufbahn Schüler in der Werkstatt jenes Simone Peterzano gewesen, dessen Nachlass im Mailänder Castello Sforzesco aufbewahrt wird. Curuz und Fedrigolli nehmen für sich in Anspruch, die Werke zwei Jahre lang mit allen technischen Möglichkeiten untersucht und Vergleiche mit dem Spätwerk des Künstlers gezogen zu haben. Sollten sie damit richtig liegen, wäre es in der Tat ein Sensationsfund, dessen materiellen Wert Experten auf 700 Millionen Euro schätzen. Um eine möglichst breite Diskussion zu ermöglichen, haben die beiden Kunsthistoriker die Ergebnisse ihrer Arbeit ins Netz gestellt ( www.giovanecaravaggio.it ).

Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. So meldete sich am Freitag Claudio Strinati zu Wort, der als Experte für die italienische Malerei des 16. Jahrhunderts allgemein anerkannt ist. Strinati hält es kaum für denkbar, dass tatsächlich alle 100 Werke von Caravaggio stammen. Bestenfalls einige Zeichnungen könne man dem großen Meister zuordnen. Und wäre das tatsächlich der Fall, würden diese Werke noch keine künstlerische Reife zu erkennen geben. Doch das würde ja ins Bild passen, schließlich war Caravaggio erst 13 bis 17 Jahre alt, als er in Peterzanos Werkstatt lernte.

Würde sich die Echtheitsthese der beiden Kunsthistoriker durchsetzen, wäre der Fund tatsächlich eine Sensation mit beträchtlicher Auswirkung auf die Kunstgeschichte: Das betrifft weniger die Gemälde als die Zeichnungen. Denn bisher sind von Caravaggio keine Skizzen und zeichnerischen Entwürfe bekannt. Das Bild des großen Barockmeisters würde daher um eine wichtige Facette erweitert.