Erwin Schrott ist im Hauptberuf Bariton, im Nebenjob der Mann von Anna Netrebko: Der Sänger über Stimmkrisen, Familie und Tangotanzen.

Hamburg. Um sich einen Eindruck von Erwin Schrotts Temperament zu machen, muss man ihm eigentlich nur Schokolade vorsetzen. Sein Blick saugt sich an den drei Schälchen fest, die die Kellnerin auf den Tisch stellt: weiß, Vollmilch, zartbitter. "Vorsicht, geben Sie es mir nicht, sonst esse ich das in zwei Minuten auf! Ich bin ein Schokoholic!", sagt er und seufzt, dass es einem noch im hintersten Rang eines Opernhauses einen Schauder über den Rücken jagen würde. Der 39-jährige Uruguayer mit dem biederen deutschen Namen und dem Aussehen und der Geschmeidigkeit eines Indianerhäuptlings ist ein besessener Sängerdarsteller. Von Salzburg bis zur New Yorker Metropolitan Opera singt er an den ersten Opernhäusern der Welt. Für noch mehr öffentliches Aufsehen sorgt er allerdings in seiner Eigenschaft als Mann an der Seite der Sopranistin Anna Netrebko. Ob nun verheiratet oder liiert - Schrott nennt Netrebko seine Frau, nur die Klatschwelt zweifelt an der Echtheit der Liaison. Das Traumpaar der Klassik lebt mit Söhnchen Tiago in Wien.

Hamburger Abendblatt: Herr Schrott, was für Gutenachtlieder singen Opernsänger am Kinderbett?

Erwin Schrott: Wir singen gar keine. Erstens ist das wirklich laut (er singt ein paar Noten und sprengt fast den Raum). Und zweitens wäre unser Sohn so fasziniert, der würde total aufdrehen, statt einzuschlafen. Tagsüber haben wir viel Spaß. Aber Bettzeit ist Bettzeit.

Wie viel Zeit haben Sie mit Ihrem Sohn?

Schrott: Oh, viel. Nicht genug, aber viel.

Obwohl Sie zum Singen durch die ganze Welt jetten?

Schrott: Da nehme ich die Familie mit, wenn es geht.

Würfeln Sie, wer was singen darf - Sie oder Ihre Frau? Oder singen Sie beide?

Schrott: Wir machen nur selten Projekte zusammen. Es ist ziemlich kompliziert, wenn wir beide arbeiten. Die Oper ist eine magische Welt, und es ist ein großes Geschenk, singen zu dürfen. Aber der Stress, das Reisen, die ganze Verantwortung sind auch anstrengend. Es tut gut, wenn jemand für einen da ist. Wir versuchen, ein ganz normales Familienleben zu führen.

Woher kommt dieser Familiensinn?

Schrott: Von meinen Eltern. Meine uruguayischen Freunde sind auch so. Die Freundinnen meiner Frau wollen alle nach Uruguay ziehen! (lacht)

Welche Rolle spielt Ihre Herkunft für Ihren Werdegang?

Schrott: Eine riesige! Wegen der Militärdiktatur musste mein Vater seine Schuhfabrik schließen. Wir hatten große Geldsorgen, aber meine Eltern versuchten trotzdem, unser kulturelles Leben aufrechtzuerhalten. Sie liebten Musik und schickten mich in den Chor. Mit acht Jahren bin ich zum ersten Mal bei "La Bohème" aufgetreten. Das Theater wurde mein Zufluchtsort, mein Märchenland. Das ist es bis heute.

Das merkt man Ihnen an. In Claus Guths Salzburger "Don Giovanni"-Inszenierung, die gerade in Berlin läuft, sind Sie der Diener Leporello. Der ist bei Ihnen kein alter Grantler, sondern ein hyperaktiver Kokainjunkie mit reichlich Ticks.

Schrott: Oh, das! Ich hatte nachher einen steifen Nacken von diesem dauernden Zucken! Leporello ist der komplexeste Charakter der Oper. Don Giovanni ist charmant, ein richtiger Torero, der die ganze Zeit kämpft, aber durchschaubar. Bei Leporello weiß man nie.

Was machen Sie, wenn Sie der Ansatzeines Regisseurs nicht überzeugt?

Schrott: Mein Job ist es zu spielen, was der Regisseur will. Wenn er eine schlüssige Idee hat, geht das auch. Es gibt aber Regisseure, die blättern in der Probe in einem CD-Booklet nach der Übersetzung, so wenig sind die vorbereitet. Vor solchen Leuten habe ich null Respekt. Wenn ich so schlecht vorbereitet wäre, würde meine Karriere ganz schnell abstürzen. Es kostet unglaublich viel Geld, dieses Mammut Oper am Leben zu erhalten. Steuergeld. Wenn wir nicht sehr gute Arbeit machen, dann haben die Steuerzahler alles Recht, sich zu beschweren und zu fragen: Was macht ihr mit unserem Geld?

Sie haben Ihre Karriere mit Mozart angefangen. Auf Ihrer neuen CD "Arias" machen Sie den Schritt ins italienische und französische Fach, zu Verdi, Bizet, Puccini. Worauf achten Sie bei diesem Repertoire?

Schrott: Gerade Verdi hat endlos lange Phrasen. Da muss man locker bleiben, weite Linien singen und auf den eigenen Körper und die eigene Technik vertrauen, dann kommt die Stimme auch über das dick besetzte Orchester.

Haben Sie schon einmal eine Stimmkrise durchgemacht?

Schrott: Ständig! Was glauben Sie? Das ist normal! Schon wenn Sie nur mit einer Erkältung singen, können Sie eine kleine Stimmkrise durchmachen. Oder wenn Sie eine Zeit lang das falsche Repertoire gesungen haben. Man muss wissen, wie man da wieder rauskommt. Karriere macht man nicht nur mit der Stimme, Karriere macht man auch mit dem Kopf. Mit Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Und mit Demut gegenüber der Natur. Was nicht da ist, kann man nicht erzwingen.

Ihr Kollege Rolando Villazón ist jahrelang zwischen Krise und Comeback gependelt. Das ist Ihnen erspart geblieben.

Schrott: Ja. Ich befolge ein paar schlichte Regeln. Eisern. Zum Beispiel lege ich nach jeder Produktion eine Erholungspause ein. Da könnten Sie mir ein Ticket zum Mond anbieten, und ich würde zu Hause bleiben. Und nach einer Opernaufführung: Klappe halten. Eine Oper dauert drei, vier Stunden. Die Stimmbänder sind stark durchblutet und extrem beansprucht. Die brauchen hinterher genauso eine Pause wie die Beine nach einem Marathon.

Vermissen Sie es nicht, hinterher Party zu machen?

Schrott: Ach, wissen Sie, ich bin Frühaufsteher. Ich vermisse eher meine Familie, wenn ich nicht bei ihnen bin.

Tanzen Sie denn nicht gern?

Schrott: Doch, klar! Tango! Aber nachmittags. Anna und ich tanzen viel zu Hause.

Ohne Tango geht's wohl nicht für einen Latino ...

Schrott: Das ist die Musik meiner Heimat! Tango, das ist Drama und Leidenschaft, ganz wie die Oper. Oper geht so: Da ist ein Sopran. Auftritt Tenor. Tenor verliebt sich in Sopran. Sopran wird krank. Sopran stirbt. Tenor ist einsam. Auftritt Bariton. Die beiden bekommen Ärger. Bariton bringt Tenor um. Bariton bleibt allein zurück.

Und beim Tango?

Schrott: Dasselbe. Nur dauert es nicht drei Stunden, sondern anderthalb Minuten, und man braucht nur einen Sänger. Sie sehen: Es ist kürzer und billiger.

Erwin Schrott: "Arias" erschienen bei Sony