Bei den Sex Pistols nannte er sich Johnny Rotten. Jetzt ist John Lydon zurück: als Schauspieler in einem norwegischen Film und mit neuem Album.

Ein Junge blickt fragend in den norwegischen Winternachthimmel. Was soll nur werden? Seine Mutter ist gestorben, sein Vater ist ein verrückter Althippie, und er versucht irgendwie im Punk Halt zu finden. Da tritt ein Mann mit blondiertem Haar neben ihn und sagt: "Freiheit ist Dreck, und Dreck ist Freiheit. Wenn du das verstanden hast, dann merkst du, dass alles im Leben möglich ist." Der Mann ist John Lydon. Früher nannte man ihn Johnny Rotten. Als Sänger der Band The Sex Pistols machte er in den 70er-Jahren Furore.

Mit seinem Kurzauftritt adelt Lydon selbstironisch den norwegischen Film "Sons of Norway", der von der Ankunft der Punkmusik in Skandinavien erzählt. Lydon kann auf ein bewegtes Leben mit einigen Höhen und noch mehr Tiefen zurückblicken. Zuerst forderte er in seinen Songs die Anarchie und wurde dann eine Musikikone. Jetzt macht der 56-Jährige, um den es lange still war, wieder von sich reden. Nicht nur durch seinen Kurzauftritt im Film. Jüngst veröffentlichte er auch wieder ein neues Album: "This Is PIL".

Anruf bei Lydon in Los Angeles. Der Hausherr ist selbst dran. "This is Rotten", meldet er sich. Ziemlich alter Witz. "Rotten" heißt vergammelt. Seinen wenig schmeichelhaften Spitznamen bekam er, weil er es früher mit der Dentalhygiene nicht so genau nahm.

Wie kommt so jemand in einen norwegischen Film? Es habe lange gedauert, bis er diesen Filmemachern vertraute, räumt er ein. Aber mit der Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor, mit der sie sich der Punk-Erfahrung annähern, haben sie ihn überzeugt und sogar zum mitspielen überredet.

Bei den Dreharbeiten herrschte tiefster skandinavischer Winter. "Ich hatte keine Thermounterwäsche an", erinnert sich Lydon. "Teile von mir fühlten sich ziemlich gefährdet." Er hielt durch und erlaubte den Filmemachern, mehrere Sex-Pistols-Songs zu verwenden. Sie gaben ihm dafür eine Nennung als ausführender Produzent.

Für Film und Fernsehen hat Lydon schon lange ein Faible. Er moderierte TV-Tiersendungen und stand 1983 zusammen mit Harvey Keitel im Polizeifilm "Copkiller" vor der Kamera. "Das war toll, schon allein, weil ich deswegen sechs Monate in Rom gelebt habe. Ich liebe die italienische Lebensart. Die pfeifen da doch auf die Wirtschaft, so lange es ihnen gut geht." Überhaupt hält er die aktuelle Wirtschaftskrise für völlig überbewertet. "Da spielen doch nur Buchhalter mit Zahlen."

Früher spielte Lydon mit seinen Sex Pistols genussvoll mit Provokationen. Der Londoner wünschte der Queen in seinen Texten die Anarchie an den königlichen Hals. Er nannte sich selbst Antichrist und proklamierte die "No future"-Generation. Damit polarisierte er und brachte Medien wie Musikindustrie gegen sich auf. Heute schreibt der "Rolling Stone" in seiner aktuellen Ausgabe über die 500 besten Alben aller Zeiten, "Never Mind The Bollocks, Here's The Sex Pistols" sei die "Bergpredigt des Punk" gewesen.

Dennoch wollte auf den Prediger nach seinem fulminanten Start so recht niemand hören. Die Sex Pistols brachen schon 1978 auseinander. Rotten ging in die USA und gründete die Post-Punk-Band PIL, das steht für Public Image Ltd. Dann wurde es still um ihn.

Zwar wollte er wieder Musik machen, fand aber kein Label, das neue Aufnahmen finanzieren wollte, weil er Schulden hatte. Fast zwei Jahrzehnte konnte er seinen Beruf nicht ausüben. Dann trommelte er die Band PIL wieder zusammen und tourte, um genug Geld für ein neues Album zusammenzubekommen. Sie fanden ein schönes, billiges Aufnahmestudio: Steve Winwoods Probenscheune in den britischen Cotswolds. Dort entstand "This Is PIL".

Lydon ist vorsichtig, wenn es um Zukunft geht. Er weiß, dass er lange auf der Überholspur gelebt und seinen Körper nicht geschont hat. Ein religiöser Mensch ist er nicht, er hat klare Vorstellung von seiner Endlichkeit. "Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Für mich ist der Himmel hier auf Erden." So richtig anarchistisch klingt das nicht.

"Sons of Norway" ab Donnerstag im Kino.

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