Die ehemalige Fernsehspielchefin des NDR steht von diesem Donnerstag an wegen Betrugs und Bestechlichkeit in Hamburg vor Gericht.

"Doris Heinze, geboren in Mülheim an der Ruhr, hat viele Jahre für das Fernsehen gearbeitet", heißt es im Klappentext des vor wenigen Wochen erschienenen Kriminalromans von Doris J. Heinze. Das ist in etwa so, als würde man den Mount Everest als kleinen Hügel bezeichnen. Nicht grundsätzlich falsch, aber doch absurd. Doris Heinze war als Fernsehspielchefin des NDR eine der mächtigsten Frauen der Branche. Ein Kopfschütteln oder Nicken von ihr entschied über Karrieren. Sie war das Nadelöhr, durch das jeder hindurch musste, der in Hamburg für das Fernsehen arbeitete, gleich ob vor der Kamera oder dahinter. Sie hatte bei Fördersummen ein entscheidendes Wörtchen mitzureden, für von ihr betreute Filme etablierte sich das Etikett "Heinze-Touch". Wohl kaum jemand in der Medienwelt ist so schnell so tief gefallen. Vom Entscheiderposten beim wichtigsten Hamburger Sender zur Autorin von unverlangt eingesandten Manuskripten.

"Wenn Starke schwach werden" überschrieb die "Süddeutsche Zeitung" im August 2009 den Text, der das Korruptionsgeflecht aufdeckte, das Doris Heinze jahrelang munter im Sender betrieben hatte. Dafür steht sie von heute an vor dem Hamburger Landgericht, insgesamt fünf Verhandlungstermine sind angesetzt, der letzte am 10. August. Heinze wird Bestechlichkeit in vier, schwere Untreue in drei Fällen sowie Betrug vorgeworfen. Angeklagt wegen Verdachts der Beihilfe ist auch ihr Ehemann Claus Strobel. Die Münchner Produzentin Heike Richter-Karst, die im Auftrag Heinzes Drehbücher verfilmt hatte, muss sich wegen Verdachts der Untreue und des Betrugs verantworten.

Die Ära Heinze mag seit knapp drei Jahren beendet sein, in den Köpfen der Filmschaffenden wirkt sie noch nach. Weil die Machtspielchen der damaligen Fernsehspielchefin, das Schalten und Walten nach eigenen Regeln einerseits eine Menge erzählt über den Systemfehler einer ganzen Branche. Einer Branche, die eine Handvoll Menschen derart mächtig werden lässt, dass die von ihren Launen Abhängigen in eine Art Angststarre verfallen. Auf der anderen Seite hat Doris Heinzes Arbeit Spuren hinterlassen, die bis heute das Fernsehen prägen, ein Glücksfall sind. Sie setzte Maria Furtwängler als "Tatort"-Kommissarin in Niedersachsen gegen alle Bedenkenträger durch. Das Engagement von Mehmet Kurtulus als ersten verdeckten Ermittler im Sonntagskrimi geht ebenfalls auf sie zurück.

Furtwängler und Kurtulus dürften zu den wenigen gehören, die sich auch nach Bekanntwerden des Skandals nicht von ihrer Fürsprecherin distanzierten; die bei jedem "Tatort"-Pressetermin tapfer den Namen Doris Heinze in den Raum werfen wie einen Fleischlappen in eine Manege voll hungriger Raubtiere. In Momenten wie diesen kann man beobachten, wie die Raumtemperatur um ein paar Grad sinkt, die Mundwinkel sämtlicher Podiumsteilnehmer millimeterweise nach unten verrutschen. Heute noch sind bei den Öffentlich-Rechtlichen Filme zu sehen, die Heinze in ihrer Funktion als NDR-Fernsehspielchefin, die sie seit 1991 innehatte, angeschoben hat, im April etwa der Ostfrustfilm "Hoffnung für Kummerow" mit Henry Hübchen.

Worüber Doris Heinze letztlich stürzte, war ihr Übermut, gepaart mit fehlendem Unrechtsbewusstsein. Ihre Überzeugung: Mir kann keiner etwas. Sie soll fünf Drehbücher ihres Ehemanns, die dieser unter dem Pseudonym Niklas Becker schrieb, abgesegnet haben sowie drei selbst verfasste Stoffe unter dem Decknamen Marie Funder, ohne dass der Sender davon wusste. Der NDR kündigte der mächtigen Frau in ihren Reihen nach Bekanntwerden der Vorwürfe fristlos. Vor dem Arbeitsgericht einigte sich Heinze mit ihrem Arbeitgeber auf einen Vergleich, musste zu Unrecht erhaltene Honorare zurückzahlen, die Summe soll sich zwischen 50 000 und 90 000 Euro bewegen.

Seither hat sich die 63 Jahre alte Doris Heinze nur selten in der Stadt blicken lassen, Branchentreffs hat sie seit der Kündigung gemieden. Selbst zur Beerdigung von Jürgen Kellermeier, dem früheren NDR-Programmdirektor, der sich tragischerweise am 3. Oktober 2009 das Leben nahm, erschien Heinze nicht, obwohl sie mehr als nur beruflich eng mit dem Vorgesetzten verbunden war. Sie lebt mit ihrem Mann zurückgezogen an der Nordsee auf der Insel Nordstrand nahe Husum. Im einzigen Interview, in dem sie sich über den Drehbuchskandal öffentlich äußerte, sagte Heinze dem Internetformat "Das Wort zum Mord": "Ich weiß natürlich, dass es absoluter Schwachsinn war, überhaupt so etwas zu machen. Im Nachhinein tut es mir auch wahnsinnig leid, aber es ist nicht zurückzunehmen. Man kann auch nicht mehr tun, als sich dafür zu entschuldigen und das auch wirklich zu meinen." Sie selbst habe, so Heinze weiter, "in gewisser Weise damit abgeschlossen", verbringe das Leben mit Schreiben und Gartenarbeit an ihren Apfelbäumen.

Im Hamburger Verlag Ellert & Richter ist kürzlich Heinzes Kriminalroman "Höhere Gewalt" erschienen. Der Leser neigt, ob er nun will oder nicht, dazu, zwischen den Zeilen nach verdeckten Hinweisen zu suchen, nach Seitenhieben auf die Branche, verklausulierten Beschuldigungen, eigenen Befindlichkeiten. Etwa in einem Absatz wie diesem: "Er war nicht untergetaucht, vielmehr hatte er sich selbst aus dem Verkehr gezogen. Erst einmal, vorübergehend. Morgens aufstehen, Blick in den Himmel, Blick über den Deich und über die Saat, Schröder begann, Gefallen daran zu finden. Hierzubleiben war keine Flucht. Er blickte in die Weite der Landschaft. Vielleicht würde er Kriminalromane schreiben." Klingt hier ein Stückweit die Autorin selbst an? Ihr Held Karl Hieronymus Schröder jedenfalls ist ein Aussteiger, Ex-Kommissar und -Profiler, getrennt von Frau und zweijährigem Sohn, der von einem hochrangigen Scotland-Yard-Beamten zurück in die Welt des Verbrechens beordert wird. Ein Mann mit Fortsetzungspotenzial. Heinze war schließlich lange Geschäftsfrau.

Man kann über diese Frau denken, was man will - ein Gespür für Menschen, Geschichten und Spannungsaufbau wird ihr niemand ernsthaft absprechen. Protagonist Schröder bewegt sich zwischen Finanzkrise und Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull, zwischen Kiew, Mumbai, Frankfurt und Nordstrand; der Leser taucht schnell ein in das globale Verwirrspiel. Bis er dann wieder über Sätze wie diese stolpert: "Die ersten Vorstadthäuser tauchten auf, der Zug näherte sich Hamburg. Schröder setzte sich aufrecht. Er wunderte sich, wie schnell er zurückglitt in sein altes Leben. Sein beiseitegeräumtes Ich war auf einmal wieder da."

Heute kehrt Doris Heinze nach Hamburg und in ihr früheres Leben zurück. Wenigstens für einen kurzen Moment.