Fabelhaft geglücktes Werk: Die Dramatikerin Dea Loher erzählt in dem Roman “Bugatti taucht auf“ von einem Wrack und den Abgründen in uns.

Am Ende des Buches wird ein Wrack ans Tageslicht befördert: Ein altes Auto, beinahe 90 Jahre alt, einst war es ein glänzendes Beispiel moderner Ingenieurskunst. Jetzt ist es rostig, vom Zahn der Zeit und vom Wasser des Sees, der es versteckte, angefressen. Aber dieser Bugatti ist trotzdem etwas unendlich Wertvolles, nicht nur für den Sammler, der ihn erwerben wird. Er ist ein Symbol für verborgene Wünsche und ein Fanal der Trauer. Die Hebung vom Grund des Lago Maggiore ist nämlich - diese Geschichte erzählt die als Dramatikerin bekannt gewordene Autorin Dea Loher in ihrem wunderbaren Roman-Debüt "Bugatti taucht auf" - eine Geste der Andacht, eine Widmung für einen ermordeten Jungen.

Das ist eigentlich der ganze Inhalt von Lohers nachdenklichem und stillem Buch: Ein Mensch wird von einer Gruppe von Halbstarken zu Tode geprügelt, und ein anderer taucht nach dem Wrack eines Automobils, um ein Zeichen zu setzen.

Gute Literatur darf einem das, was sie ausdrücken will oder auch nicht, nicht vorbuchstabieren. Sie muss suggestiv sein, auf mehreren inhaltlichen Ebenen erzählen und am besten auch noch stilistische und formale Bedeutungsträger haben. Wenn in einem Text eine Grundspannung herrscht, weil Motive, Metaphern und Elemente der Handlung in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Wie gesagt, das alles, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen: Man spricht ja gerne davon, dass ein Roman eine Tiefenstruktur hat. Die "Aussage" findet sich dann, wenn man gründlich unter textlichen Gesteinsschichten gräbt und im Meer der Sprache taucht.

Der Roman "Bugatti taucht auf" gilt unter Literaturkritikern und Lesern derzeit als Geheimtipp, er wird allenthalben gelobt. Zu Recht - Dea Lohers Buch ist ein Werk von gar nicht so häufiger Stimmigkeit, weil es eine Geschichte erzählt, nach deren tieferer Wahrheit man erst schürfen muss. Oder besser gesagt: Weil so erzählt wird, dass der Leser das Gefühl hat, er müsse die eigentliche, sensationelle Bedeutung des Textes erst suchen. Und dann gibt es sie vielleicht gar nicht, und trotzdem klappt man das Buch befriedigt zu.

Dea Loher, geboren 1964 in Traunstein, verknüpft in ihrer zweiten Prosa-Arbeit nach dem Erzählband "Hundskopf" zwei reale Geschehnisse miteinander. Das eine ist der schockierende Tod eines Teenagers im schweizerischen Locarno. In Lohers Roman heißt er Luca; der Figur liegt das reale Schicksal des Damiano Tamagni zugrunde, der in der Fastnacht vom ersten auf den zweiten Februar von drei Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde.

Die andere Begebenheit trug sich am 12. Juli 2009 zu: An diesem Tag wurde ein Bugatti Typ 22 Brescia vom Grund des Lago Maggiore gehoben, das Sehnsuchtsobjekt von Sammlern.

Die Suche und Bergung des Sportwagens wird im dritten Teil dieses so einfach und gleichzeitig so genial komponierten Romans geschildert. Jordi betreibt eine Firma für Unterwasserarbeiten in Ascona, er träumt von einem Aussteigerleben in Südamerika. Aber seine familiären Verpflichtungen und der Todesfall rufen ihn an sein Zuhause zurück. Der ermordete Junge ist der Sohn eines Freundes. Jordi ist ein undurchdringlicher Charakter, er scheint sich nicht binden zu können.

Sein Vater ist schwer krank, der Bruder, einst drogensüchtig, hat sich von der Familie losgesagt. Jordis Sehnsüchte, Träume und auch seine moralische Haltung bündeln sich in seinem Unternehmen, den Bugatti nach oben zu holen. Er, der ein Ingenieur des Lebens ist, ein praktischer Mensch, vollbringt eine Tat von großer Schönheit, und dabei war er "wahrlich nicht der Typ, den Ereignissen eine metaphysische Bedeutung anzudichten. Einen transzendenten Sinn zu konstruieren, eine Botschaft des Universums in Krankheiten, Unfällen und Begebenheiten zu erkennen, die einen selbst oder andere betrafen, oder gar Signale des eigenen Inneren, die es zu entschlüsseln galt".

Lohers Prosa ist ungekünstelt und elegant. Jordis Geschichte stellt die größte Etappe des Romans dar, sie folgt auf den im nüchternen Polizeiberichtsstil gehaltenen mittleren Teil, in dem die Tötung des Jugendlichen minutiös festgehalten wird. Aber bei aller Genauigkeit der gewaltsamen Vorgänge bleibt die Verständnislücke - sie kann auch nicht durch Bugattis Auftauchen geschlossen werden.

Es gibt viele Tote in Dea Lohers Roman. Der erste ist die Hauptfigur im ersten und kürzesten Teil: Dort lernen wir den Künstler Rembrandt Bugatti in dessen fiktivem Tagebuch kennen. Der Bruder des Auto-Erfinders ist eine melancholische Gestalt. Er bringt sich 1916 in Paris um. Geblieben ist von ihm der Elefant, der als Kühlerfigur dem Bugatti dient. Rembrandts Schicksal ist ebenso sehr Thema des Romans wie sein Bruder Ettore. Dessen Leben erforscht Jordi, der Taucher, wenn er den unvergleichlichen Auto-Nerd Bronski trifft. Es passt viel hinein in diesen fabelhaften, schlanken Roman.

Dea Loher: Bugatti taucht auf. Wallstein, 204 Seiten, 19,90 Euro