Ballettintendant John Neumeier warnt vor fehlenden Tarifausgleichen, weil das Ensemble dann nicht mehr zur Spitze zählen würde

In einem Brandbrief warnt John Neumeier, Intendant des Hamburg Balletts und Hamburger Ehrenbürger, eindringlich und leidenschaftlich vor den Folgen nicht ausgeglichener Tariferhöhungen. Das Abendblatt dokumentiert den Text in ausführlichen Auszügen.

Eigentlich müsste ich überglücklich, mit gutem Gefühl und entspannt in die Ferien fahren können - aber mein Herz ist schwer: Ich frage mich, wie viele Ballett-Tage wird es noch geben?

Der Haushalt steht laut Senatsbeschluss seit zwei Wochen fest. Es gibt keine direkten Kürzungen für die Staatsoper, aber es scheint beschlossen, dass die vereinbarten Tarifabschlüsse ein Defizit mit sich bringen werden. Den Erhöhungen von 6,3 Prozent steht ein geplanter Ausgleich von lediglich 1,5 Prozent gegenüber. Damit ergibt sich eine Lücke von ca. fünf Prozent bei den Tariferhöhungen, die aus dem laufenden Budget finanziert werden muss. Also faktisch doch eine Kürzung!

Als Ehrenbürger dieser Stadt, der seit beinahe 40 Jahren in Hamburg lebt und arbeitet und für das hier Erreichte kämpft, mache ich mir große Sorgen um die Zukunft unseres Hauses, die Hamburgische Staatsoper. Wie jeder Bürger akzeptiere ich, dass gespart werden soll. Man könnte sogar sagen, "Sparen" war unser bekanntes Lied der letzten zehn bis 20 Jahre. Wir, das Hamburg Ballett, haben immer wieder - immer wieder - versucht damit zurechtzukommen. Mit Fleiß und motivierter Arbeit war es uns auch möglich, trotz der Sparmaßnahmen weiterzumachen, den gewohnten Standard an Qualität zu halten und sogar zu erhöhen. Aber dieser Haushaltsbeschluss in seinem jetzigen Ausmaß verändert die Struktur des Hamburg Balletts grundlegend. Obwohl uns noch keine Beträge bekannt sind, ist mir schon bewusst, dass diese "Sparrunde" größere Auswirkungen haben muss als jede andere der vergangenen Jahre, welche wir, Oper und Ballett gemeinsam, durch Personaleinsparungen und Erhöhung der Eintrittspreise (leider!) zuletzt haben meistern können.

Die Tatsache, dass die beschlossenen Tariferhöhungen nur mit 1,5 Prozent ausgeglichen werden sollen, greift tief ein in unsere Grundstruktur. Ein Defizit von über fünf Millionen kann eben nicht mehr nur durch weniger aufwendige Dekorationen, eine Neuproduktion weniger pro Spielzeit, den Verzicht auf Gasttänzer, drei Tänzerstellen oder einen Pressesprecher kompensiert werden. Mithilfe von Überschüssen aus gut besuchten Vorstellungen und aus Gastspielreisen könnten wir für die nächsten zwei Jahre vielleicht einigermaßen über die Runden kommen, aber trotzdem bliebe am Ende noch ein Minusbetrag von über 2,5 Millionen Euro, den wir nicht ausgleichen können.

Das bedeutet 50 Mitarbeiter weniger für den gesamten Betrieb, woran sich das Ballett mit einem Drittel beteiligen muss - also ein Verzicht auf Mitarbeiter bei Bühne, Beleuchtung, Verwaltung, Orchester und Ballettcompagnie. Die Folge: Viele bisher erfolgreiche Ballette wären nicht mehr aufzuführen, weniger Vorstellungen wären anzusetzen oder wesentlich kleinere Produktionen zu planen, was aber gleichzeitig weniger Einnahmen bedeuten würde. Dabei darf man nicht vergessen, dass das Ballett mit seinen hohen Einspielergebnissen ein positiver Wirtschaftsfaktor in dieser Stadt ist. Weniger Vorstellungen, ein kleineres Angebot, weniger Einnahmen - ein Teufelskreis. Es bedeutet ganz einfach, das Hamburg Ballett, wie es während der vergangenen fast 40 Jahre erfolgreich aufgebaut worden ist und sich während der 38. Hamburger Ballett-Tage glänzend präsentieren konnte, existiert dann so nicht mehr. Das Resultat wäre ein Ensemble, das nicht mehr zu den großen in Deutschland zählen würde, ohne internationale Gaststars sowie eine kleinere Ballettschule.

Dies bedeutet aber auch, nicht mehr im bisherigen Maß Botschafter für diese Stadt sein zu können, und damit fällt im Ausland auch etwas weniger Glanz auf die Stadt Hamburg.

Ich kann mir ein Bild Hamburgs als Musikstadt nicht so recht vorstellen, wenn Oper und Ballett in der zweitgrößten Stadt mit dem ältesten bürgerlichen Opernhaus Deutschlands (!) schrumpfen sollen, während gleichzeitig ein gigantisches Konzerthaus entsteht in dem Bestreben, Hamburg als Musik- und Kulturgroßstadt zu profilieren. Wie soll das zusammenpassen?

Den kompletten Originaltext finden Sie unter www.abendblatt.de/neumeierbrief