In dieser Woche wird Ilse Gräfin von Bredow 90 - sie schreibt noch immer jeden Tag. Ein Gespräch über Bestseller, die Familie und Wuttränen im Alter

Hamburg. Ihr Debütroman "Kartoffeln mit Stippe" (1979) hielt sich so lange in den Bestsellerlisten, dass Ilse Gräfin von Bredow dafür sogar einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde erhielt. Wer es nicht gelesen hat, hat möglicherweise die Verfilmung gesehen - oder eines der fast 20 anderen Werke im Bücherregal stehen, die die erfolgreiche Autodidaktin inzwischen geschrieben hat und die sich millionenfach verkauft haben. Am 5. Juli feiert die in Hamburg lebende Gräfin ihren 90. Geburtstag - was so seine Vor- und Nachteile hat, findet sie.

Hamburger Abendblatt:Gräfin Bredow, Sie haben lange Zeit als freie Mitarbeiterin für das Hamburger Abendblatt geschrieben. Wann hat das angefangen?

Ilse Gräfin von Bredow: 1961. Zum Schreiben bin ich durch Zufall gekommen. Ich hatte ja aufgrund des Krieges und einer langwierigen Tuberkulose keinerlei Ausbildung, ich musste sehen, wie ich mich mit einer schmalen Rente und einem kleinen Zuverdienst über Wasser hielt. Ich habe damals bei den Amerikanern geputzt, Kinder gehütet und dann erste Texte für die Kolumne "Menschlich gesehen" geschrieben. Als ich mit dem Schreiben richtig in Fahrt kam, war ich fast schon 50.

Woher nimmt man dann den Mut, ein Buch zu schreiben?

Von Bredow: Die Abendblatt-Leser haben mich ermuntert. Die Leute sehnten sich nach einer gewissen Gemütlichkeit, die man ihnen genommen hatte, es war ja die Zeit der Linken und der RAF.

War "Kartoffeln mit Stippe" sofort ein Bestseller?

Von Bredow: Nein, es dauerte ziemlich lange. Es kam im Februar 1979 heraus, und da waren alle mit dieser furchtbaren Schneekatastrophe beschäftigt. Der Verleger rührte sich auch nicht. Ich bin dann in ein paar Buchhandlungen gegangen, "Kartoffeln mit Stippe" lag da auch irgendwo herum, aber unter "ferner liefen". Und dann, ich glaube, es war schon April, war ich bei Freunden, und die sagten: "Weißt du eigentlich, dass dein Buch auf der 'Spiegel'-Bestsellerliste steht?" Eine Woche später war es dann auf Platz eins, und das war überhaupt die Sensation schlechthin, denn da hielt es sich so lange, dass ich dafür einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde erhielt.

"Kartoffeln mit Stippe" war am Ende auch der Jahresbestseller. Sie haben mit dem Debüt Günter Grass, Siegfried Lenz, Heinrich Böll, J.R.R. Tolkien, Martin Walser, Ephraim Kishon, James A. Michener, Christine Brückner und Johannes Mario Simmel hinter sich gelassen ...

Von Bredow: Die Brückner ist eigentlich die, die den Weg für die Literatur über die verlorene Heimat bereitet hat.

Ihre Bücher waren und sind weitestgehend autobiografisch. Ein Großteil des Personals haben Sie der Familie entnommen. Zum Beispiel den Onkel, der seinen Gläubigern folgenden Brief zu schicken pflegte: "Sehr geehrte Herren! In der Weihnachtszeit findet bei mir zu Hause regelmäßig eine Lotterie mit unbezahlten Rechnungen statt. Sollte ich aber noch eine einzige Mahnung von Ihnen erhalten, sehe ich mich gezwungen, Ihre Rechnung von der Verlosung auszuschließen." So etwas kann man nicht erfinden. So etwas will aber auch nicht jeder über sich lesen. Wie hat Ihre Familie auf "Kartoffeln mit Stippe" reagiert? War man beleidigt oder begeistert?

Von Bredow: Weder noch. Die Familie hat gesagt: "Och, Gott, so ein bisschen Buch und dann so viel Theater."

Wie kränkend!

Von Bredow: Ich hatte nichts anderes erwartet. Wissen Sie, so ein Erfolg ist natürlich unheimlich schmeichelhaft, aber eigentlich ist es auch das Schlimmste, was einem passieren kann.

Wieso das denn?

Von Bredow: Weil die Menschen Sie vereinnahmen! Die kamen aus Lüneburg und Berlin und sagten: "Wir wollen Sie nur einmal ganz kurz kennenlernen." Wenn sie nicht gleich oben bei mir klingelten, meldeten sie sich unten aus der Telefonzelle. Außerdem bekam ich herzzerreißende Briefe. Wobei ich sagen muss, dass noch viel herzzerreißendere Briefe nach "Deine Keile kriegste doch" kamen. Da war die Dame, die schrieb, nach einem wahnsinnigen Bombenangriff wären sie in den Trümmern herumgerannt, und dann hätte da plötzlich ein Papagei gerufen: "Nur geringer Sachschaden!" Das habe ich natürlich sofort benützt.

Was Ihre Bücher unverwechselbar macht, ist der lakonische Ton. Wer hat den in die Familie hineingebracht?

Von Bredow: Mein Vater konnte sehr komisch sein. Es ist wohl eine Mischung aus dem Märkischen und dem Schlesischen. Märkisch ist der trockene Humor, schlesisch sind die Ironie und die Redseligkeit.

Bei Fontane heißt es: "Einen besseren Stoff als die Bredows gibt es in der Mark Brandenburg nicht. Sie sind es, an denen man typisch märkische Tugenden und vielleicht auch (pardon) kleine märkische Schwächen besser studieren kann als an irgendeiner anderen Familie." Was kann er mit den kleinen Schwächen der Bredows gemeint haben?

Von Bredow: Wahrscheinlich, dass es hier und da ein bisschen an der Bildung haperte. Meine Mutter behauptete jedenfalls, dass unter den Damen nach dem Diner der Lieblingssatz gewesen wäre: "Legen deine Hühner eigentlich noch?"

Sie haben sich irgendwann für ein Leben in Hamburg entschieden. Warum?

Von Bredow: Das war eigentlich ein Zufall. Aus meiner Internatszeit hatte ich Freunde, die in Harvestehude lebten und mich aufnahmen, und die haben mich dann immer so weitergereicht. Ich habe dann auch in Niendorf gewohnt, aber ich wollte immer in die Grindelhochhäuser. Das klappte aber erst 1976.

Schreiben Sie nach wie vor jeden Tag?

Von Bredow: Ja, aber es wird mühsam.

Sie werden 90. Was ist das Beste daran?

Von Bredow: Dass man sehr nett behandelt wird. Die Leute sind alle sehr bemüht. Wenn ich nach meinem Alter gefragt werde und dann sage, dass ich 89 bin, sagen alle: "Oh!", oder "Ach, nein!" Und: "Wollen Sie sich nicht hierhersetzen?"

In Ihrem vorletzten Buch "Nach mir die Sintflut" haben Sie sich bissig mit den Etiketten "alt" und "uralt" beschäftigt. Woran erkennt man den Unterschied?

Von Bredow: Am Staunen der Mitmenschen. Wenn die normalsten Sachen von der Welt zur Sensation erklärt werden: "In Ihrem Alter immer noch ohne Stock!" Und leider auch daran, dass ich mir die Marmeladengläser jetzt schon im Geschäft aufmachen lassen muss.

Gibt's auch Langeweile? Nach dem Motto, das kenn ich schon?

Von Bredow: Nein, dafür haben Sie gar keine Zeit. Sie brauchen ja schon Ewigkeiten, bis Sie sich gewaschen und angezogen haben! Da kommt Langeweile gar nicht auf.

Wie würden Sie Ihre gegenwärtige Geistesverfassung beschreiben?

Von Bredow: Etwas melancholisch. Wenn man alt und krank ist, muss man sehr aufpassen, dass man zwischendurch nicht in Tränen ausbricht. Man rennt dann weinend durch die Gegend, und die Leute reagieren verstört. Nach dem Motto: "Was ist denn nu los?"

Sind es die Schmerzen oder ist es das Entsetzen darüber, dass der Körper nicht mehr mitmacht?

Von Bredow: Das Entsetzen. Schmerzen kann man ja lindern, aber die Wutausbrüche eines alten Menschen, dem einfach mal die Beine versagen, die können die Angehörigen nicht verstehen. Die werden viel zu persönlich genommen!