Die Charakterschauspielerin Suzanne von Borsody spielt in der Mankell-Verfilmung “Der Chinese“ in der ARD die Rolle der Jägerin und der Gejagten.

Hamburg. "Schluss ist, wenn ich alles weiß." Um den Mörder an ihren Eltern und die Gründe für dessen brutales Massaker im mittelschwedischen Kaff Hesjövallen herauszufinden, begibt sich Strafrichterin Brigitta Roslin in Lebensgefahr. Die ARD-Verfilmung von Henning Mankells Roman "Der Chinese" ist kein weiterer dünner Wallander-Aufguss, sondern macht im passagenweise harten Thriller die Juristin zur Heldin auf der Suche nach Gerechtigkeit und Wahrheit. Zur Jägerin und Gejagten, zwischen Schweden und China.

Eine ideale Rolle für Charakterschauspielerin Suzanne von Borsody. In Peter Keglevics versierter Regie zeichnet sie die Strafrichterin wie unter Dauerschock. Ausdrucksvoll regungslos, mit der Entschlossenheit einer Schlafwandlerin. Und instinktiv hellwach in brenzligen Situationen. Mit der Angst wachsen Richterin Roslin Kraft und Mut. Einmal rettet sie der waghalsige Sprung aus dem Fenster eines brennenden Stundenhotels vor dem die Klinge schwingenden Killer.

Auch für den Zuschauer braucht es einige Zeit, bis er die Zusammenhänge in diesem mit Schauplatzwechseln und Zeitsprüngen spielenden Krimi durchschaut. Fred Breinersdorfer und seine Tochter Léonie-Claire, die Drehbuchautoren des knapp dreistündigen Films "Der Chinese" (ARD, 30.12., 20.15), haben Mankells mit historischen und politischen Fakten spielenden 650-Seiten-Roman auf wesentliche Handlungsstränge verdichtet. Sie rückten die Figur der Strafrichterin ins Zentrum, zeigen sie gleich in den ersten Szenen und konzentrieren sich auf deren Problematik zwischen den Fronten. Roslin steckt ohnehin in einer emotionalen Krise. Eben hat ihr Mann Staffan, gespielt von Michael Niqvist, nach 15 Jahren Ehe die Wohnung verlassen.

Die Gerechtigkeit, für die Roslin eintritt, ist jedoch ein zweischneidiges Schwert. Was für den einen als Recht gilt, wird dem anderen zum zugefügten Unrecht. Roslin ist ihren Eltern und dem Dutzend unschuldiger Opfer des brutalen Gemetzels Gerechtigkeit schuldig. Alle stammen aus ihrer Familie, den Andréns. Da sie mit den Ermittlungen der Kommissarin und deren Erklärungen unzufrieden ist, besucht sie den grausigen Tatort im Dorf und findet Briefe eines Verwandten, der im 19. Jahrhundert nach Amerika auswanderte. Bei einer Internet-Recherche entdeckt die resolute Detektivin auf eigene Faust einen ähnlichen Mordfall im amerikanischen Reyno. Eine Familie Andrén wurde umgebracht, die Leichen zerstückelt, genau wie in den Gehöften von Hösjevallen. Jetzt weiß Roslin: "Ich bin die Letzte." Auf der Todesliste.

Gedreht wurde in Niederösterreich, Schweden und Taiwan

Seine Form von Gerechtigkeit fordert ebenfalls im fernen China ein so korrupter wie mächtiger Banker in Kanton. Über einen Auftragskiller, den Sicherheitschef Liu in seiner Firma, lässt Ya Ru (Jimmy Taenaka) die vom ausgewanderten Jan Andrén seinen Vorfahren zugefügte Schmach mit Blut abwaschen. Die Brüder, als Zwangsarbeiter nach Nordamerika verschleppt, mussten 1863 beim Bau der Pacific Eisenbahn malochen. Angetrieben, misshandelt und getötet von Jan Andrén. In schattenhaften, doch eindringlichen Szenen zeigt Keglevic das Martyrium der "faulen Kulis" im Nevada vor 150 Jahren. Gedreht hat der Regisseur aber an Schauplätzen in Niederösterreich.

Die Szenen im bunten, quirligen Gewühl der videoüberwachten Straßen von Kanton entstanden in Taiwan. Peking, wie es der Roman vorsieht, stand als Originalset überhaupt nicht zur Debatte. Das Drehbuch hätte die Zensur nicht passieren können. Denn im ungleichen Geschwisterpaar Ya Ru, einem Mafiaboss ähnlichen skrupellosen Typen und seiner die kommunistische Ideologie vertretenden Schwester Qui Hong (Amy J. Cheng) zeigt Mankell die Gegenpole in der aufstrebenden Supermacht China: den galoppierenden Kapitalismus und die alten, für die breiten armen Bevölkerungsschichten noch gültigen Grundsätze.

Allerdings kommt die kritische Dimension des Romans über die rapiden Entwicklungen in China und dessen imperialistischen Machtbestrebungen in Afrika zu kurz. Diese Ebene wird notgedrungen zugunsten von Actionszenen bei der gegenseitigen Verfolgungsjagd von letzter Überlebender und Drahtzieher des Rachefeldzugs geopfert.

Beide Gegner bleiben sich auf ihre Weise treu. Trachtet der mächtige Chinese, das zerrissene Band seiner Familie mit allen Mitteln zu verbinden, so verurteilt die Richterin aus dem Westen die Todesstrafe. "Der Chinese" ist kein Film für zart besaitete Seelen. Die Problematik von Gerechtigkeit und Rache, von Rassismus und der kultureller Unvereinbarkeit im globalen Miteinander verliert Peter Keglevic bei aller Dramatik und Spannung nicht aus dem Blick. Sie geht unter die Haut.