Wohin sonst als ins Konzert zwischen den Jahren?

Es muss schon viel passieren, dass die Laeiszhalle dem Besucher den Eindruck klösterlicher Ruhe vermittelt. Wann hätten wir je das Licht als gedämpft empfunden, wann wären uns die Gänge mit den Teppichböden und Gründerzeitschnörkeln kahl vorgekommen und die plüschbezogenen Sitze hart? Wie alles im Leben ist auch dies eine Frage der Wahrnehmung. Und die ist bekanntlich korrumpierbar, zum Beispiel durch Kontraste. Was hatten wir in den vergangenen Tagen schließlich alles zu verkraften, welche Kerzenhelligkeit, wie viele Gespräche, welche Anstrengung, die Konflikte sorgsam unterm Teppich zu halten - nicht zu vergessen all die Kipferl, Karpfen und Sektflaschen.

Und das nach dem Endspurt, der hinter uns liegt. Der alte Flachs, dass Weihnachten jedes Jahr wieder überraschend komme, er gilt nicht nur für die panische Fahndung nach Geschenken am 23. Dezember kurz vor Ladenschluss, wenn die Verkäuferinnen schon die Lamettafäden vom Boden klauben, um die Silvesterdeko in Stellung zu bringen. Auch sonst muss ja alles unfehlbar im Dezember geschehen: Antragstellungen und Betriebsfeiern, Blockflötenvorspiele und Fußballturniere des Nachwuchses.

Wir haben es also tatsächlich erreicht, dieses Niemandsland der Zeit zwischen den Jahren, das uns in den Wochen zuvor wie ein rettender Leuchtturm vor Augen stand. Pause. Ausatmen. Doch so sehr wir uns danach gesehnt haben, der plötzliche Stillstand bekommt nicht jedem. Früher war die Adventszeit zu Einkehr und Buße bestimmt. Davon kann man anno 2011 nicht mehr wirklich reden. Das hat sich eher auf die Tage nach Christi Ankunft verlagert - obwohl das mit der Buße bestimmt mal etwas anderes bedeutet hat als den Griff zum obersten Hosenknopf. Was kneifen Gans und Rotkohl aber auch wieder, oder liegt's etwa an den Plätzchen? Die Gicht könnte man kriegen in diesen Tagen zwischen den Jahren, verdientermaßen. Denn wer ermannt oder erfraut sich bei drei Grad und Niesel schon, einen Fuß vor die Tür zu setzen? Der Hund dreht eine Runde im Garten, das muss für alle reichen.

Es darf aber auch reichen, denn keiner muss etwas. Dienstleistungen? Fehlanzeige. Friseursalons, Küchenstudios und Reinigungen liegen im Dunkeln. Wer immer kann, bleibt dem Büro fern - und wer jetzt seine Projekte nicht angeschoben hat, der schiebt sie dieses Jahr auch nicht mehr an, sehr frei nach Rilke. Irgendwo brennt ein einsames Licht. Da schlüpft ein Steuerberater noch rasch durch die Regelungslücke, die der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar geschlossen hat.

Wer sich jedoch aus dem Sofa gequält hat, für den kann ein Konzert geradezu zu einer kultischen Reinigungszeremonie werden. Einmal nur die Ohren benutzen und nicht den überstrapazierten Verdauungstrakt. Die Gefahr, sich am Ort gleich wieder der Völlerei zu ergeben, ist gering, denn das kulinarische Angebot in der Laeiszhalle hat eher etwas von einer calvinistischen Verzichtsübung. Ganzjährig übrigens. Abnehmen durch Konzertbesuch, das wäre doch mal eine Vermarktungsidee für die gebeutelten Klassikveranstalter.

So spüren wir den ach so harten Plüsch unter den kissenverwöhnten Sitzknochen, freuen uns, den Schweinehund besiegt zu haben, und lauschen den unvermeidlichen Blechbläsern oder der ebenso unvermeidlichen Neunten Beethoven. Und haben endlich Gelegenheit, über einem neuen Vorrat an guten Vorsätzen zu brüten. Damit uns auch 2012 das schlechte Gewissen nicht ausgeht.

Unsolidere Zeitgenossen aber pfeifen gleich ganz auf die Vorsätze und ergeben sich sündigen Operetten- oder Salonklängen. So geht's natürlich auch. O Zeiten, o Sitten.