Im “Tatort: Der Weg ins Paradies“, der am Sonntag ausgestrahlt wird, erzählt Regisseur Lars Becker, wie aus Islamkonvertiten Extremisten werden.

Hamburg. Ein Bus fliegt in die Luft, es wird an internationalen Schauplätzen gedreht, und eine Liebesgeschichte gibt es auch noch. Was sich wie eine Zusammenfassung des nächsten James-Bond-Teils anhört, ist tatsächlich die jüngste Folge des "Tatorts" aus Hamburg. Es ist die vorletzte Episode mit Mehmet Kurtulus alias Cenk Batu in der Hauptrolle des Verdeckten Ermittlers, bevor dieser im kommenden Jahr das Feld für Til Schweiger räumt. In "Der Weg ins Paradies" wirkt der Einzelgänger Cenk Batu mehr denn je eher wie ein Actionheld denn ein gewöhnlicher Ermittler. Sein Auftrag führt ihn in islamistische Kreise und an seine persönliche Belastbarkeitsgrenze: Batu soll eine Terrorzelle infiltrieren, die - wie BKA und Geheimdienste bereits wissen - einen Anschlag in Hamburg plant. Ort und Zeitpunkt sind nicht bekannt.

Batu soll den Anschlag vereiteln und den al-Qaida-Kontakt der Gruppe ausfindig machen. Getarnt als radikaler Moslem lernt er den Chef der Organisation, den hochintelligenten deutschen Islamkonvertiten Christian Marschall, kennen. Der ist extrem misstrauisch und stellt Batu vielfach auf die Probe, bevor er ihn offiziell in die Terrorzelle aufnimmt. Das ist jedoch nicht sein einziges Problem bei dieser Operation: Das Bundeskriminalamt hat den Fall mittlerweile übernommen und selbst Batus Chef Uwe Kohnau wird nicht mehr in alle Details des Falls eingeweiht. Batu weiß zunehmend weniger, wer mit oder gegen ihn arbeitet.

"Der Weg ins Paradies" ist nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera exzellent besetzt. Regie führte diesmal Lars Becker, der bereits mit seiner ZDF-Polizeifilmreihe "Nachtschicht" gezeigt hat, dass er ein Händchen für hintergründige Krimis hat. Auch zwei "Tatort"-Folgen in Berlin und Kiel hat er bereits gedreht. "Der Hamburger ,Tatort' unterscheidet sich vom klassischen Ermittlerduo, das gefällt mir. Dieses Subgenre ist eine Bereicherung für das Format. Deshalb finde ich es auch so schade, dass Mehmet Kurtulus aufhören möchte. Ich finde, seine Geschichte ist noch lange nicht zu Ende erzählt", sagt Lars Becker. Das Thema Islamismus ist ein Selbstläufer, künstliche Brisanz braucht Becker hier nicht durch Nebenhandlungen zu erschaffen. Tut er glücklicherweise auch nicht, sondern konzentriert die Geschichte ganz auf die zwei Gegenspieler Cenk Batu und Christian Marshall. "Ich wollte unbedingt, dass man die Figuren als Menschen erkennt, gerade weil die Bewertung ihres Handels in diesem Fall ja sehr leicht ist. Man sollte erkennen können, dass hinter diesen Tätern unterschiedliche Charaktere stecken, die gebrochener sind, als sie sich auf den ersten Blick geben." Ken Duken spielt so einen gebrochenen Charakter. Christian Marschall stammt aus wohlhabendem Elternhaus, ist hochintelligent und hatte nach einem Physikstudium glänzende Zukunftsaussichten. Die Angst in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, plagt ihn trotzdem, und auch den übersteigerten Ansprüchen des Vaters wird er mit seinen Leistungen nicht gerecht. Den Ausweg und seine scheinbare Rettung findet er schließlich im religiösen Extremismus. Mittlerweile setzt er seine Intelligenz für zerstörerische Zwecke ein. Er schickt seine Anhänger als Selbstmordattentäter ohne mit der Wimper zu zucken in den Tod.

Gegen ihn spielt Cenk Batu, der einsame Wolf mit Schlag bei den Frauen. Batu hat türkische Wurzeln und das reicht dem BKA-Kommissar Hans-Peter Albers schon völlig aus, um in ihm den idealen Mann für den Fall zu sehen. Batu, ein liberaler Moslem, ist gezwungen, sich intensiv mit einer Kultur auseinanderzusetzen, der er zwar auf dem Papier angehört, die für ihn aber im Grunde fremd ist.

"Der Weg ins Paradies" ist ein Zeitgeist-"Tatort". Am Beispiel der deutschen Konvertiten zeigt er die Gefahr der Radikalisierung in der eigenen Gesellschaft. "Ich erzähle gern Geschichten, ohne den didaktischen Zeigefinger zu heben. Ich möchte nicht belehren, mir geht es um die Aufmerksamkeit, die ich auf ein Thema lenken kann", sagt Lars Becker. Diesem Motto ist er auch bei seinem "Tatort"-Engagement treu geblieben. "Der Weg ins Paradies" sind 90 Minuten erstklassige Fernsehunterhaltung, die sich nicht wie 90 Minuten anfühlen. Lösungsansätze bietet er nicht, das ist in diesem Fall auch gut so.

Die Figuren sind komplex, trotzdem ist zu jedem Zeitpunkt klar erkennbar, wer gut und wer böse ist. Dabei spielen Mehmet Kurtulus und Ken Duken auf Augenhöhe und wahnsinnig gut. Duken ist ein brutaler Verführer, ein Psychopath hinter der Maske eines hübschen vernachlässigten Kindes. Mehmet Kurtulus ist glücklicherweise kein klassischer Held, er ist rau und doch gutherzig und kämpft in diesem "Tatort" vor allem gegen sich selbst. Wo hört die Loyalität zur eigenen Religion auf, und wo fängt Extremismus an? Für Cenk Batu zum Beispiel, wenn eine junge unschuldige Frau ins Visier der Terrorzelle gerät. Ein bisschen verkappter James Bond gehört eben dazu.

"Tatort: Der Weg ins Paradies", So 20.15, ARD