Der Virtuose Kavakos ist bis 2015 ausgebucht, in der Laeiszhalle gibt er ein umjubeltes Konzert. Wir waren ihm 36 Stunden auf den Fersen.

Hamburg. Sechs Stunden nach seiner Landung mit LH 3189 aus Mailand ist Leonidas Kavakos in Hamburg angekommen, er lächelt gelöst, während er seiner "Abergavenny"-Stradivari zuhört. Brahms-Violinkonzert, erster Satz, auf der Bühne des Liebermann-Studios, die erste Probe mit dem NDR-Sinfonieorchester, noch 29 Stunden bis zum Laeiszhallen-Konzert. Kavakos, 44 und Geiger in dritter Generation, kennt dieses Stück ebenso in- und auswendig wie Dutzende andere. Es gibt Jahre, in denen er Brahms' Opus 77 etwa 30-, 35-mal spielte, hatte er beim Mittag im Hotel erzählt, "und ich weiß immer noch nicht, wie es geht".

Weltberühmter Geiger, Top-Virtuose - Etiketten, die nach großer weiter Welt klingen, danach, dass man nur für die Musik da ist. Und wenn man mit einem Orchester auftritt, kann man so ausgiebig proben, bis selbst der Stoffel am letzten Pult verstanden hat, was Sache ist. Doch für einen klassischen Vielflieger wie Kavakos sieht der Alltag ganz anders aus. Sein Konzertterminkalender reicht bis Frühjahr 2015.

Für diesen Brahms, den der neue NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock dirigiert, hat er netto zwei Orchesterproben von je zwei Stunden. Dann muss alles sitzen, danach geht es raus ins Rampenlicht, und diesmal gleich vier Tage hintereinander: Hamburg, Lübeck, Wismar, Hamburg. In Mailand hatte Kavakos Beethoven-Sonaten gespielt, davor war er für zehn Tage in den USA und in Leipzig. Länger als drei Wochen am Stück mag Kavakos nicht von zu Hause getrennt sein. "Man kann nicht nur Konzertmaschine sein." Nach diesem NDR-Engagement ist bis Mitte Januar frei, bis auf ein Konzert am 31. Dezember in Florenz, zu dem ihn Zubin Mehta überredet hat.

+++ Leonidas Kavakos: Ein Geiger riskiert alles +++

Griechenland ist für Kavakos viel mehr als geografische Heimat, dorthin muss er immer wieder zurück. Auftanken, sich erden, sich mit der Familie und Freunden treffen. Denen schickt er nie Mails, für solche privaten Momente lässt er die Finger vom iPhone, das ihn an den Rest der Welt und an die Existenz seines Managements erinnert.

Nach der Ankunft am Flughafen geht es ins Hotel. Gepäck ins Zimmer, danach für ein leichtes Essen ins Restaurant, bevor der Fahrdienst ihn aufs NDR-Gelände an der Rothenbaumchausse bringen soll. Hamburg, ach ja. Sehr schöne Stadt. Wo Brahms geboren wurde, hat er leider noch nicht gesehen. Vor einigen Jahren war er einmal hier, da war die Alster zugefroren, und ob es den gut sortierten Klassik-Plattenladen in der City noch gibt, möchte er auch wissen. Die Welt wird überschaubar klein, sobald die Zeit für sie fehlt.

Im Dirigentenzimmer wartet ein NDR-Pianist, um Kavakos und Hengelbrock beim ersten Orientierungssprint zu begleiten. Die beiden kennen sich noch nicht, während man von den Orchestermusikern nur Gutes über diesen Gast hört. Viele Virtuosen kommen, spielen und reisen spurlos ab, aber auf Kavakos haben sie sich gefreut. Nach der Probe wird ein Cellist schüchtern wie ein Teenager zu Kavakos gehen, er möchte ein Autogramm für den geigenden Sohn, als Ansporn direkt in die Noten des Beethoven-Konzerts, das Kavakos im Juli beim Schleswig-Holstein Musik Festival gespielt hatte.

Doch so weit ist es noch nicht. "Das Zimmer ist eiskalt", beklagt Kavakos, als er in seine Garderobe kommt. Zwei Türen weiter warten Chefdirigent und Flügel. Hengelbrock, der seine Musiker-Karriere als Geiger begann, bewundert kurz die Abergavenny, doch die Zeit ist knapp. "Da ich ja kein Geiger bin, möchte ich die Stelle gern schnell", flachst Hengelbrock. Auf zwei Meter Entfernung merkt man, wie viel PS in so einer Stradivari stecken. "Am Ende, versprochen, folge ich", sagt Hengelbrock, und schon ist die Stunde um.

Die erste Gesamt-Probe ist noch ein Herantasten, Eindeutiges lassen die Profis weg, dafür hat man immer noch die Generalprobe am nächsten Morgen in der Laeiszhalle. Kavakos' letzter Brahms war mit Christoph Eschenbach, Hengelbrocks Vorvorgänger beim NDR, in Washington. Das sei weiser gewesen, weniger enthusiastisch, findet Kavakos. Nach etwas Üben geht das Fachsimpeln über Musik im Allgemeinen und Geigenbögen im Speziellen mit einem NDR-Musiker weiter, bis das Taxi Kavakos am Abend wieder ins Hotel bringt. Da gäbe es um 21 Uhr zwar noch ein Quartett-Konzert in der Nähe, aber ausruhen ist ihm wichtiger.

Donnerstag, 10 Uhr, Laeiszhalle. Hinter der Bühne wuselt sich das Orchester auf Betriebstemperatur zurecht. Geprobt wird in Konzertreihenfolge, nach einer Viertelstunde mit der Kleist-Ouvertüre von Joseph Joachim ist Brahms dran. Es läuft schon besser, wenn auch noch nicht wie geschmiert. Hier und da verspannen sich Kavakos' Gesichtszüge. Ein Durchlauf, einige Stellen wiederholen. Danke schön, wir sehen uns am Abend.

Das Tutti packt zusammen, Kavakos bekommt Besuch aus Salzburg. Zwei Orchestermusiker der Camerata, die eine Lücke zwischen zwei Konzerten in Hannover und Osnabrück nutzten, um für ein Mittagessen mit dem Freund nach Hamburg zu kommen. Danach wieder zurück ins Hotel, durchatmen, ausruhen. Das funktioniert so gut, dass Kavakos ein wenig verschläft. In der Laeiszhalle wartet ein junger NDR-Geiger, dem der Solist zwei Stunden vor Konzertbeginn noch eine Stunde Unterricht versprochen hat. Eine Stunde vor Konzertbeginn zieht sich der Musiker freudestrahlend zwischen den Instrumenten-Kisten um, die Lektion war wohl ein Erfolg. Der Solist ist im Solistenzimmer verschwunden, zwei Türen neben Hengelbrocks Raum.

Im Saal füllen sich die Reihen, die Neugier ist groß, Brahms geht ja immer hier. Nach der Joachim-Vorspeise folgt der Hauptgang. Die Konzentration aufs Wesentliche ist da; Kavakos spielt die Musik nicht mehr, er spielt jetzt auch mit ihr. Großer, runder Ton, unprätentiöse Charakterstärke, die das Profil bestimmt. Hengelbrock hält sein Versprechen vom Vortag, er folgt, auch im Finale, bei dem Kavakos das Tempo forsch steigert. Riesenbeifall, die Anstrengungen der letzten 36 Stunden haben sich gelohnt. Nach einer kleinen Zugabe verschwindet Kavakos in der Bühnentür.

Hinter den Kulissen wird die Pause genutzt, um für Haydns 104. Sinfonie umzubauen, die so funkensprühend klingt, als wäre sie Stammrepertoire und nicht Stil-Neuland. Vor dem Künstlerzimmer ballen sich die Gratulanten: Musiker, Bekannte, Bewunderer, Generalintendant Christoph Lieben-Seutter macht seine Aufwartung, Hengelbrocks Freundin, die Schauspielerin Johanna Wokalek, ist auch da.

Kavakos übt im Künstlerzimmer. Das macht er gern nach Konzerten. Wie ein Athlet, der sich nach dem Wettkampf das Rest-Adrenalin aus dem Körper läuft, um zur Ruhe zu kommen. Nach dem Brahms ist vor dem Brahms.

Sonntag, 11 Uhr, Laeiszhalle (nur noch Restkarten)