Der opulente Band “Magnum. Contact Sheets“ erzählt die Entstehungsgeschichte der besten Bilder aus 80 Jahren

Hamburg. Ein Bild kommt als Zeugnis des Augenblicks in die Welt, als geglückter Versuch, etwas der Vergängnis zu entreißen. Ein Foto hält einen Moment in der Zeit fest, es friert ihn ein im Kontinuum des ewigen Dahinfließens. Wenn ein Foto so berühmt wird, dass es mit einer Person oder Szene der Zeitgeschichte untrennbar verbunden ist, dann nennt man es eine Ikone. Der Ausdruck bezeichnet wohlgemerkt nicht nur den Abgebildeten (oder das Abgebildete), sondern auch das Foto selbst. Eine Aufnahme Che Guevaras vom Januar 1963 zum Beispiel. Sie zeigt den Rebellen mit Zigarre. Guevara wirkt hochmütig, er reckt prüfend seinen Kopf empor. Er sieht verwegen aus, und gleichzeitig ruht sein Blick abschätzend-abschätzig auf seinem Gegenüber.

Dieses Gegenüber ist die amerikanische Reporterin Laura Berquist. Zu ihr schaut der berühmte Mann die ganze Zeit. "Er sah kein einziges Mal zu mir hin, was schon sehr ungewöhnlich war", erinnert sich der Mann, der das ikonografische Foto damals schoss: René Burri. Zwei Stunden schlich der Schweizer um Guevara herum, während seine Kollegin Guevara interviewte. Das Foto des rauchenden Che erschien erst in einer Reportage, dann ging es auf Fahnen und T-Shirts um die Welt. Das Motiv ist nicht das Resultat der Arbeit eines genialen Fotografen, der den richtigen Moment erwischte, sondern entstammt einer ganzen Serie von Aufnahmen.

Burri fotografierte Guevara im Profil, von vorne, mit offenem Mund, mit geschlossenem. Einmal reibt sich der Argentinier müde die Augen. Er gestikuliert, er lächelt, er verzieht keine Miene. Zu sehen sind alle Negative auf dem sogenannten Kontaktbogen, den Burri, wie alle Fotografen früher, nach seinem Shooting erstellte. Der Kontaktbogen war die Grundlage der Fotoauswahl. Nachdem die Digitalisierung über die Welt gekommen ist, sind die Kontaktbögen verschwunden. Die Bildsequenzen werden nun am PC begutachtet.

Burri fotografierte für die legendäre Agentur Magnum. Wie so viele namhafte Fotografen, die die Zeitgeschichte seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts abbildeten: Robert Capa etwa oder Werner Bischof. Magnum wurde erst 1947 gegründet, der Fotoband versammelt auch frühere Aufnahmen späterer Fotografen der Agentur.

In einem prächtigen und viereinhalb Kilo schweren Band finden sich nun die besten Aufnahmen. "Magnum. Contact Sheets/Kontaktbögen" zeigt Portraits von Malcolm X, Martin Luther King, Miles Davis oder den Beatles. Versammelt sind außerdem Wendepunkte der Geschichte (die Invasion in Prag, die Studentenunruhen in Paris, 9/11) oder überraschende Aufnahmen wie die eines Sommerregens in Australien.

Von anderen Fotobänden unterscheidet diesen nicht nur die erlesene Auswahl, sondern die Schilderung der Entstehungsgeschichte der Bilder: mitsamt ihrer Kontaktbögen, die nicht nur eine Methode des Archivierens sind, sondern zudem Einblicke in die Arbeitsweise der Fotografen geben. Gelungene Porträts oder perfekt eingefangene Szenen sind kein Werk des Zufalls, sondern Ergebnis harter Arbeit.

Wie komplex das Setting ist, in dem ein Foto entsteht, wird in der intimen Aneinanderreihung der Fotos deutlich, die vor und nach dem entscheidenden Bild entstanden. Intim sind sie, weil eine Beziehung zwischen Fotograf und Fotografiertem entsteht; vor allem aber, weil sie eine Art Bewusstseinsstrom des Fotografen wiedergeben.

Kristen Lubben (Hg.): Magnum. Contact Sheets. 435 Abb., Schirmer/Mosel, 508 S., 98 Euro