Kultursenatorin Barbara Kisseler bekommt zu tun: Die bisherige Machtverteilung im Hamburger Musikleben ist aus der Balance geraten.

Hamburg. Wie viel Wahres im Sprichwort "Wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere" steckt, kann die Kulturbehörde seit der letzten Woche gleich mehrfach bestätigen. Denn mit der Ankündigung ihres Abschieds nach zehn Jahren als Hamburger Generalmusikdirektorin und Opernchefin hat Simone Young in der letzten Woche den Auftakt zu einem ausgiebigen Rätselraten über die zukünftige Besetzung von Schlüsselpositionen des Hamburger und des norddeutschen Musiklebens gegeben. Ob die sprichwörtliche Wahrheit unangenehme oder befreiende Auswirkungen hat, wird sich nun zeigen. Bislang jedenfalls ist noch alles offen.

Für die Staatsoper und das Philharmonische Staatsorchester muss demnächst die Suche nach einem neuen Generalmusikdirektor für die Zeit ab 2015 beginnen, und ebenso - getrennt davon - nach einer Neubesetzung für die Intendanz. Den Kardinalfehler, beide Posten in einer Person zu vereinen (und sie damit chronisch zu überlasten), wird man so schnell wohl nicht mehr begehen. Zu deutlich ist in den letzten Jahren geworden, dass diese Machtfülle mit dem Arbeitspensum nicht zu vereinbaren ist.

Das Haus, einst international für die Qualität des Ensembles und der Inszenierungen berühmt, findet in dieser Wahrnehmung kaum noch statt. Der Glanz früherer Jahrzehnte ist verblasst, selbst Youngs Vorzeigeprojekt, Wagners "Ring" mit dem Regisseur Claus Guth, lief nur unrund. Wenn die Fachpresse oder überregionale Rezensenten überhaupt noch berichten, dann fallen die Urteile eher negativ aus. Viel mehr als die Verwaltung des Bestands und die Abarbeitung des Geplanten kann jetzt kaum noch kommen. Und eine Hausherrin, die vom eigenen Orchester zum Rücktritt aufgefordert wurde, ist damit offiziell angezählt. Kein Wunder also, dass die Kulturbehörde verlautbarte, es sei durchaus denkbar, die beiden Posten wieder voneinander zu trennen.

Aktueller Beweis für die Unbrauchbarkeit dieser Konstruktion ist nicht zuletzt Youngs offenbar erfolgreich verlaufener Gastauftritt an der Wiener Staatsoper, wo sie an diesem Wochenende den Start einer Wiederaufnahme von Strauss' "Daphne" dirigierte - einen jener Komponisten, der ihrem Faible für große Spätromantik entspricht, mit üppiger Vorbereitungszeit und gutem Ensemble, frei vom organisatorischen Chef-Druck an der Dammtorstraße. Und last but not least mit einem der besten Opernorchester der Welt.

Auf diesem Niveau befinden sich, freundlich ausgedrückt, die Philharmoniker noch nicht ganz, was die Suche nach einem prestigeträchtigen neuen Chefdirigenten mit womöglich internationaler Ausstrahlung erschweren könnte. Interessant dürfte also werden, welcher Gastdirigent in den kommenden Spielzeiten das Herz der hiesigen Orchestermusiker erfreut und so zum Flirt-Kandidaten für die Young-Nachfolge werden könnte. Es sei denn, die aus Berlin zugezogene Kultursenatorin erinnert sich an den berüchtigten Spaß, den die Suche nach neuen Opernchefs dort zu verursachen pflegt, und entscheidet kategorisch im Alleingang, ohne sich von allen Seiten hineinreden und -regieren zu lassen.

Anders als bei der Oper und den Philharmonikern ist die Situation bei den Hamburger Symphonikern derzeit bereinigt. Der bisherige Vertrag von Chefdirigent Jeffrey Tate endete in diesem Sommer. Tate habe seine Option zur zweijährigen Verlängerung bis zum Sommer 2014 genutzt, erklärte Intendant Daniel Kühnel. Bis zu diesem Zeitpunkt, der zumindest theoretisch die Startrampe in die erste elbphilharmonische Saison sein soll, läuft auch Kühnels eigener Fünf-Jahres-Vertrag. Auf die massiven Gesundheitsprobleme des 68 Jahre alten Briten angesprochen, die Tate vor einigen Monaten zu einer langen Pause gezwungen hatten, sagte Kühnel: "Es geht ihm besser als vor der Krise, es gibt keinen Grund zur Reduzierung der Konzerte."

Die Posten-Personalunion namens Simone Young ist nicht die Einzige, von der unklar ist, ob und wie sie weiter Bestand hat. Auch zwischen dem NDR und dem Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) gibt es eine Verbindung, die bislang von einem einzigen Mann verkörpert wird: von Rolf Beck.

Beim SHMF endet sein Vertrag im Jahr 2013. Beck trat das Amt des Direktors 1998 an, seit 2002 ist er Intendant. Beim NDR wird bei diesem Thema gemauert. Man gibt keine Auskünfte über die Vertragsdauer mit dem 66-Jährigen oder die Pläne für die Zeit danach. "Wir freuen uns, mit Rolf Beck einen sehr erfolgreichen Manager der NDR-Klangkörper zu haben. Über mögliche Veränderungen im Bereich Orchester und Chor wird zu gegebener Zeit beraten und entschieden", verkündete eine Sprecherin des Senders. Beck hingegen teilte freimütig mit, seine beiden Verträge mit NDR und SHMF würden 2013 enden. Darüber hinaus gab er keine Kommentare ab, ob oder zu welchen Bedingungen er ein weiteres Mal verlängern wolle.

Während Beck schweigt, läuft hinter den Kulissen der Branche offenbar die Suche nach einem Nachfolger. Eine kleine Findungskommission sondiert, macht sich Gedanken und führt Gespräche mit interessanten Kandidaten. Dazu zählt dem Vernehmen nach neben Konzerthaus- und Festival-Chefs aus dem gesamten Bundesgebiet auch eine neue Hamburger Lokalgröße: der frischgebackene NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock.

Dieses Nach-Beck-Modell für das SHMF soll angeblich vorsehen, Hengelbrock als Künstlerischen Leiter einzubinden und ihm eine Person seines Vertrauens für das Geschäftliche an die Seite zu stellen. In der SHMF-Intendanz in Lübeck hieß es dazu lediglich: "Wir wissen von nichts." Auch Sven Murmann, Stiftungsratsvorsitzender des SHMF, wollte diese Variante nicht bestätigen. "Diese Idee ist mir neu."

Für die Zukunftssicherung des Flächenfestivals hätte dieser Umbau der Chefetage einen gewissen Charme. Einerseits wäre der NDR als Medienpartner ebenso wieder mit im Boot wie über die Person Hengelbrock auch die Rundfunkorchester. Auch die guten Kontakte Hengelbrocks in die Alte-Musik-Szene könnten für eine programmatische Bereicherung und Belebung des SHMF-Sortiments sorgen. Das SHMF hätte ein Standbein in seiner Heimat zwischen den Meeren und ein Spielbein in Hamburg, dort, wo schon jetzt zahlungskräftige Sponsoren residieren und irgendwann die Elbphilharmonie als Prestige- und Publikumsmagnet droht, auch wenn dort bislang für die Sommermonate nichts Eigenes geplant ist.

Hoch über der Elbe, mit dem Konzerthaus auf dem Kaispeicher A, schließt sich der Kreis. Er könnte für die jetzige Kultursenatorin zum Teufelskreis werden, sollte sie keinen Weg finden, alle Begehrlichkeiten und kulturpolitischen Konzepte belastbar und visionär zu koordinieren. Bildlich gesprochen, wartet Generalintendant Christoph Lieben-Seutter - bisheriges Vertragsende: 2015 - seit Jahren auf sein erstes Konzert dort, während um ihn herum Weichen gestellt werden.