Zwei Hamburger Kreative ließen das Agenturleben hinter sich, um mit den fiktiven Figuren Rocket & Wink im Beruf neu durchzustarten.

Hamburg. Mitunter ist die Fiktion die bessere Realität. Private Paralleluniversen, die aus dem Urknall der eigenen Fantasie entstanden sind, lassen sich mit Figuren bevölkern, die losgelöst leben von Normen und Erwartungen der Außenwelt. Die Vergangenheit hinter sich lassen, sich neu erfinden, befreit sein. Ein Traum, der verlockend klingt, aber auch Mut erfordert.

Zwei Hamburger Designer haben diese Fiktion zur Realität gemacht. Jahrelang arbeiteten sie in renommierten Werbefirmen, entwickelten Kampagnen, gewannen Preise. Erfolgreich. Aber in der Mühle. Der Wunsch wuchs, eigenständiger zu wirken, künstlerischer, auch kleiner, also nicht in großen Agenturapparaten. Doch wie neue Wege beschreiten, wenn die alten so komfortabel und breit getreten daliegen? Wie eine andere Bildsprache entwickeln, wenn die Branche die gewohnte Handschrift kennt und goutiert?

Um bei null anzufangen, lassen die beiden Männer ihre Vita und Familiennamen, also sich selbst verschwinden. Stattdessen schicken sie Rocket & Wink in die Öffentlichkeit. Zwei autarke Charaktere, die ihr kreatives Eigenleben führen (dürfen). Rocket trägt einen silberfarbenen Motorradhelm zum schicken Anzug. Er hat, so will es die Fiktion, am renommierten M.I.T. in Boston studiert und ist als Wissenschaftler daran interessiert, Dinge am Computer zu gestalten. Dem Technikfreak steht das Naturgeschöpf Wink gegenüber. Sein Konterfei besteht aus Jute, seine Augen sind Knöpfe, die er zudem leidenschaftlich sammelt. Wink bezieht seine Ideen vorzugsweise aus Büchern, er ist ein Handwerker. Seit Mai 2011 sind der Raketentyp und der Kartoffelsackmann ein Team, das bereits für große Marken gebucht wurde.

"Wir werden immer die Puppenspieler im Hintergrund bleiben", sagen die anonymen Designer. Zu ihrem Schaffen jenseits des Rampenlichts passt es sehr gut, dass sie sich kein schickes Büro in der City gemietet haben, sondern mit zwei weiteren Mitarbeitern Hinterhofräume im Westen Hamburgs bezogen haben. "Zunächst haben wir ein eigenständiges Portfolio für Rocket & Wink entwickelt", erzählen sie vom Start ihres Duos. Schnell kam so viel Material zusammen, dass sie beschlossen, ihre Illustrationen und Ideen, Texte und Temperamente in einem Magazin zu versammeln. Und mit dem auf Kunst- und Fotobücher spezialisierten Verlag Seltmann + Söhne fanden die Kreativen auch direkt eine Produktionsstätte für ihre farbstrotzenden, eigenwilligen Bände. Soeben ist die dritte Ausgabe von "Whatever" erschienen. Ein Musikposterspecial. Für Bands wie Nada Surf und die Shout Out Louds schufen sie Siebdrucke, deren Optik meist einen Hintersinn birgt. Den Singer-Songwriter Iron & Wine symbolisiert beispielsweise eine Weinflasche, deren Hals zugleich einen Hammer darstellt. Eine subtile Komik.

Inspiriert zu diesem popkulturellen Projekt wurden Rocket & Wink durch den Auftrag, das Artwork für das diesjährige Reeperbahn-Festival zu kreieren. "Wir hatten ausgehandelt, dass wir auch mit einem Stand bei der Posterschau ,Flatstock' ausstellen dürfen", erklären sie. Das Problem: Es war noch kein einziges Plakat fertig. Also warfen Rocket & Wink den künstlerischen Turbo an und visualisierten in nur einem Monat mal eben 120 Bands.

In ihren bürgerlichen Existenzen mögen die zwei Familienväter sein, Turnschuhe anziehen und Männerfrisuren haben. Für Kunst und Kommerz sind immer die fabelhaften Fabelwesen Rocket & Wink verantwortlich. Die erste Ausgabe von "Whatever" wurde vom Art Directors Club, dem Berufsverband der Branche, direkt mit zwei Nägeln ausgezeichnet. Unter dem Titel "at 1st" befasst sich das 120 Seiten starke Debüt mit dem Zauber, der jedem Anfang innewohnt. Unter den poetischen wie expressiven Collagen aus Grafiken, Zeichnungen und Fotos findet sich zum Beispiel die Anzeige für das von Rocket & Wink entwickelte Produkt "First Kiss" - ein Inhalationsspray, das bei spontanen Dates zu frischem Atem verhilft.

In der wirklichen Welt hat das Team bereits Arbeiten für Marken wie Nike, Gauloises und Fritz Kola umgesetzt. Denn in der Fantasie mögen finanzielle Zwänge fern sein, im Alltag zählt nach wie vor die bare Münze. Und die Kundengespräche werden dann auch unmaskiert geführt. Geschäft ist Geschäft. Jedoch suchen sie "Auftraggeber, die Vertrauen schenken und verdienen". Denn es bleibt ein Geheimnis, ob tatsächlich die zwei Designer in den Verkleidungen von Rocket & Wink stecken. Kann sein. Muss aber nicht. Der Raketentyp und der Kartoffelsackmann, sie haben ihre eigenen Köpfe.

Mit ihrem Rollenspiel sind Rocket & Wink bei Weitem nicht alleine. Vielmehr scheint es, als sei ein Dasein auf mehreren Ebenen in den vergangenen Jahren kulturell höchst salonfähig geworden. Angefangen bei Autoren wie Stephen King, die unter Pseudonym schreiben. Und zur Perfektion geführt von Popgruppen wie Daft Punk und den Gorillaz, die statt ihrer selbst Roboter oder Comicfiguren auf die mediale Bühne schicken. Da wundert es wenig, dass Rocket & Wink derzeit damit beschäftigt sind, das Artwork für die kommende Deichkind-Tour zu gestalten. Denn auch das Hamburger Elektro-Kollektiv verbirgt sich gern hinter leuchtenden Kostümen. Die Protagonisten dieses Maskenballs wären theoretisch also austauschbar. Die Sache mit der Realität und der Fiktion bleibt spannend.

Info & Kontakt: www.rocketandwink.com