In seinem Roman “Angst“ beschreibt Robert Harris, wie ein Computerprogramm den globalen Finanzmarkt ins Chaos stürzt

Hamburg. Angst ist Geld. Angst ist gut. "Angst" ist der Titel des aktuellen Romans von Robert Harris. Er beschreibt 24 Stunden im Leben des Kernphysikers Alex Hoffmann, der eine revolutionäre Form des automatisierten Aktienhandels entwickelt hat. Seine streng geheime Software namens Vixal ist so programmiert, dass Computer das Netz nach angstbesetzter Sprache durchforsten und dann mit geradezu unheimlicher Präzision die Bewegungen der globalen Finanzmärkte vorausberechnen können. In Bruchteilen von Sekunden veranlasst das Programm dann millionenschwere Transaktionen. So verdient der von Hoffmann und seinem Partner Hugo Quarry, einem Investmentbanker, gemanagte Hedgefonds an besagtem Tag 4,1 Milliarden Dollar.

Vor diesem Hintergrund inszeniert Harris einen surrealen Albtraum voller Paranoia und Gewalt: Während Quarry und er eine milliardenschwere Investorengruppe für den Fonds begeistern sollen, versucht Hoffmann, einem geheimnisvollen Einbrecher auf die Spur zu kommen, der offenbar sein Leben zerstören will.

Soweit die wenig überraschende Handlung, auf den ersten Blick das übliche Strickmuster eines Thrillers. Was dieses Buch aus dem Einheitsbrei hervorhebt, ist Harris' Gabe, präzise Recherche fast beiläufig mit einer gnadenlos spannenden Handlung zu verknüpfen. Wie schon bei seinen Bestsellern "Enigma" oder "Pompeji" entfaltet er ein atmosphärisch dichtes, detailtreues und sprachlich authentisches Panorama seines Sujets, ohne seitenlange Erläuterungen.

Das Thema bedient vordergründig den angstgetriebenen Voyeurismus der Leser. Was wäre, wenn ein einziges Computerprogramm die Finanzmärkte beherrschen und Amok laufen würde? In seinem Debütroman "Vaterland" war es die Vorstellung: Was wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte? In "Pompeji" spielte Harris virtuos mit unseren Horrorfantasien, was sich beim Ausbruch des Vesuv abgespielt haben könnte.

Doch während seine bisherigen Romane historisch fundierte Fiktion waren, ist "Angst" beängstigend real. Die Handlung vollzieht sich am 6. Mai 2010, an einem Tag, der wirklich Börsengeschichte schrieb: Die Kurse schienen aus heiterem Himmel im freien Fall zu sein. Renommierte Unternehmen verloren zeitweilig fast 40 Prozent an Wert. In kürzester Zeit wurden Millionen von Aktien gehandelt. Der Dow Jones verlor binnen einer Stunde 1000 Punkte, legte später aber in einer Viertelstunde wieder 600 Punkte zu. "Flash Crash" nannten das die Börsianer, aber niemand konnte dieses Chaos erklären.

In dieser Melange aus Profitgier, Computerhörigkeit und sekundenschnellen Millionengeschäften fand Harris sein Thema: Computer machen aus Angst Geld. Kaum jemand versteht die Finanzmärkte, aber wir liefern uns ihnen auf Gedeih und Verderb aus. Harris seziert diesen faustischen Pakt mit der Finanzindustrie. "Angst" ist ein Horrorthriller, das Programm Vixal ein digitales Monster. Bewusst siedelt Harris das Geschehen in Genf an, wo "Frankenstein" geschrieben wurde. Der Autor entlarvt egomanische Hedgefonds-Manager die jenseits aller Moral Gewinne maximieren. Hier zeigt sich aber auch die Schwäche des Romans. Zugunsten oberflächlicher dramatischer Dichte verzichtet Harris auf subtilere Charakterzeichnungen. Das Potenzial für eine moderne Variante von "Fegefeuer der Eitelkeiten" vergibt er damit.

Robert Harris: "Angst". Heyne, 384 Seiten, 19,99 Euro